Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
privat, sondern eine selbstständige gemeinnützige Einrichtung. Gegründet worden war sie vor über vierzig Jahren von einem obskuren Plutokraten – einem eingewanderten Russen, der mit Textilien ein Vermögen gemacht und dieses riesige Stück Land gekauft hatte. Auf dem weiten Gelände lagen große Gebäudekomplexe von Hightech-Unternehmen und Denkfabriken verstreut, aber offiziell bestand der größte Teil des Parks weiter aus Urwald.
War die Wahrheit in Wirklichkeit komplizierter? Wenn sie nur mit Paul Bancroft hätte sprechen können – aber niemand bei der Stiftung konnte ihr sagen, wann er zurückkommen würde, und sie wollte nicht länger warten. Ihre Träume und Albträume konzentrierten sich zunehmend auf das Geheimnis, das die Einrichtung im Research Triangle Park umgab. Eine Stiftung innerhalb der Stiftung? Und was wusste Paul Bancroft darüber? Hatte auch ihre Mutter davon gewusst? Zu viele Fragen, zu viele Ungewissheiten.
Und wieder schien es, als sei unter der Asche liegende Glut erneut angefacht worden. Sie fühlte sich magisch davon angezogen. Wie ein Nachtschmetterling von einer Kerzenflamme?
Nichtstun machte einen verrückt. Vielleicht war es Wahnsinn, den Research Triangle Park zu besuchen, aber untätig an der Seitenlinie zu sitzen war auch eine Art Wahnsinn. Vielleicht würden die schlichten, banalen Tatsachen ihre fieberhaften Fantasien ein für alle Mal widerlegen; schließlich war es durchaus möglich, dass es eine langweilige Erklärung gab, die sie übersehen hatte. Trotzdem fand sie die Anomalien, die sie aufgedeckt hatte, weiter beunruhigend. Untätigkeit würde ihr keine Ruhe bringen.
One Terrapin Drive.
Es lag wohl an ihrer Stimmung, aber nach der Landung erschien ihr alles bedrohlich, sogar das gigantische Schild mit der Abkürzung RDU in riesigen blauen Buchstaben. Der Flughafen, in seiner sterilen Modernität kaum von Hunderten von anderen im ganzen Land zu unterscheiden, war ein Terrazzodschungel.
Wollte Andrea sich selbst gegenüber ehrlich sein, war sie verdammt nervös. Fast jedes Gesicht, das sie sah, erschien ihr verdächtig. Sie ertappte sich sogar dabei, dass sie in einen Kinderwagen sah, um sich davon zu überzeugen, dass er nicht als Requisit eines Überwachers diente. Das Baby lachte sie gurgelnd an, und sie genierte sich sofort. Reiß dich zusammen, Andrea!
Sie reiste mit leichtem Gepäck, hatte ihren kleinen Rollkoffer in der Kabine über ihrem Sitz verstaut. Jetzt zog sie ihn hinter sich her, als sie dem Ausgang zustrebte. Mehrere Männer, die handgeschriebene Schilder hochhielten, lungerten am Glas herum und genossen die Klimaanlage. Andrea sollte von einem Fahrer abgeholt werden, sah aber niemanden, der ein Schild mit ihrem Namen hochhielt. Sie wollte schon aufgeben und sich auf den Weg zum Taxistand machen, als sie einen Nachzügler ein Blatt Papier mit A. BANCROFT hochhalten sah. Okay, er hatte sich also ein paar Minuten verspätet. Andrea zwang sich dazu, ihre momentane Verärgerung zu überwinden, und winkte ihm zu. Der Fahrer – gut aussehend, wie sie feststellte, mit grauen Augen und markanten Gesichtszügen – nickte, nahm ihr den Rollkoffer ab und begleitete sie zu seinem dunkelblauen Buick. Er war Mitte vierzig und bewegte sich trotz seiner Leibesfülle sehr leichtfüßig. Nein, dick war er eigentlich nicht; Andrea musste ihren ersten Eindruck korrigieren. Er war nur sehr muskulös, vielleicht ein Fitness-Freak. Sein Gesicht war gerötet, als habe er in letzter Zeit viel Sonne abbekommen.
Sie nannte ihm ihr Hotel – das Radisson im RTP –, und der Mann lenkte den Buick schweigsam und flüssig durch den abfließenden Flughafenverkehr. Andrea hatte erstmals das Gefühl,
sich etwas entspannen zu dürfen. Aber die Gedanken, die sie überfielen, waren alles andere als heiter.
Wie rasch ein Traum zu einem Albtraum werden konnte! Laura Parry Bancroft. Dieser sauber ins Register eingetragene Name bedeutete einen Schock für sie, und die Erinnerung besaß weiter die Kraft, sie durch Kummer zu lähmen. Der Tod ihrer Mutter hatte einen Schatten über ihr Leben geworfen. Aber wie weit konnte sie ihren eigenen Gefühlen, ihrem eigenen Verdacht trauen? Vielleicht befand sie sich aus Liebe und Loyalität und Kummer unter der Herrschaft einer mütterlichen Entfremdung, sogar eines mütterlichen Wahns? Hatten die Bancrofts ihr wirklich etwas angetan, oder hatte sie sich aus Zorn und Frustration selbst geschadet? Wie gut verstand sie ihre Mutter? Es gab so
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