Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
kleine Welle der Besorgnis erreichte ihn, bevor er sich ihrer Ursache bewusst war: laute Stimmen und das Geräusch von Gummisohlen, die auf harten Steinboden klatschten. Männer, die rannten statt gingen. Das bedeutete: Chalil Ansaris Tod war entdeckt worden. Das bedeutete: Die Sicherheitskräfte in der Villa und dem dazugehörigen Grundstück befanden sich jetzt in höchstem Alarmzustand.
Und das bedeutete: Belknaps Überlebenschancen schwanden mit jeder Minute, die er hier drinnen verbrachte.
Oder war es bereits zu spät? Er stürmte ins Erdgeschoss hinunter und hörte ein Surren. Die Gittertür am Fuß der Treppe wurde von ihrem Elektroantrieb krachend geschlossen. Jemand hatte den Alarmzustand für alle Ein- und Ausgänge ausgelöst und damit die sonst aus Feuerschutzgründen geltenden Einstellungen außer Kraft gesetzt. War Belknap jetzt in diesem Treppenhaus gefangen? Er warf sich herum, rannte wieder nach oben und versuchte
die Türklinke im ersten Stock. Die Tür ließ sich öffnen, und er trat auf den Korridor hinaus.
Geradewegs in einen Hinterhalt.
Er spürte einen eisernen Griff, der seinen linken Oberarm umklammerte, und die Mündung einer Waffe, die sich schmerzhaft in sein Rückgrat bohrte. Ein Wärme- und Bewegungsmelder musste seine Position preisgegeben haben. Er sah sich um und begegnete dem stählernen Blick des Mannes, der seinen Arm umklammert hielt. Also war es ein weiterer, vorläufig unsichtbarer Wachmann, dessen Revolver Belknap an seinem Rückgrat spürte. Das war die weniger anspruchsvolle Aufgabe, die vermutlich einem Untergebenen des Mannes an seiner Seite zugefallen war.
Belknap musterte ihn erneut. Dunkelhäutig, schwarzhaarig, bartlos, Anfang vierzig … ein Mann in einem Lebensabschnitt, in dem die Reife der Erfahrung ihm Vorteile brachte, denen noch keine Einbußen an Vitalität und Körperkraft gegenüberstanden. Ein junger Mann mit Muskeln, aber beschränkter Erfahrung ließ sich ebenso überwinden wie ein altgedienter Veteran. Aber die ganze Haltung dieses Mannes zeigte Belknap, dass er genau wusste, was er tat. Sein Gesichtsausdruck verriet weder Angst noch übersteigertes Selbstbewusstsein. Ein Gegner dieser Art war in der Tat furchterregend: Stahl, der unter Belastung gehärtet, aber noch nicht ermüdet war.
Der Mann war sehr kräftig gebaut, wirkte aber trotzdem geschmeidig. Er hatte ein Gesicht mit Flächen und Winkeln, eine Nase mit verdicktem Sattel, die er sich in seiner Jugend offenbar einmal gebrochen hatte, und eine breite Stirn mit wulstigen Brauen über Schlangenaugen – die eines Raubtiers, das seine gefallene Beute begutachtet.
»He, hören Sie, ich weiß überhaupt nicht, was los ist«, begann Belknap, indem er ein verwirrtes Faktotum zu spielen versuchte. »Ich bin nur einer der angestellten Architekten. Ich kontrolliere
den Fortschritt der Bauarbeiten. Das ist mein Job, okay? Am besten rufen Sie einfach unser Büro an, damit die Sache aufgeklärt wird.«
Der Mann, der ihm seine Waffe ans Rückgrat gedrückt hatte, tauchte jetzt rechts von ihm auf: Mitte zwanzig, sehr schlank, braunes Haar, Bürstenhaarschnitt, eingesunkene Wangen. Er wechselte einen Blick mit seinem Vorgesetzten. Keiner der beiden würdigte Belknaps Geschwätz einer Antwort.
»Vielleicht sprechen Sie kein Englisch«, vermutete Belknap. »Das scheint hier das Problem zu sein. Dovrei parlare in italiano …«
»Ihr Problem ist nicht, dass ich nichts verstehe«, sagte der ältere Wachmann auf Englisch mit leichtem Akzent, indem er seinen eisernen Griff noch verstärkte. »Ihr Problem ist, dass ich alles verstehe.«
Der Mann, der ihn gefangen genommen hatte, war Tunesier, vermutete Belknap seinem Akzent nach. »Aber dann …«
»Sie wollen reden? Ausgezeichnet. Ich will zuhören. Aber nicht hier.« Der Wachmann blieb so plötzlich stehen, dass auch sein Gefangener abrupt haltmachen musste. »In unserer hübschen stanza per gli interrogatori . Im Vernehmungsraum. Unten im Keller. Dorthin gehen wir jetzt.«
Belknap lief ein kalter Schauder über den Rücken. Diesen Raum kannte er gut: Er hatte ihn auf den Bauplänen studiert, hatte sich über seine Konstruktion und seine Einrichtung informiert, noch bevor sich bestätigt hatte, dass die Villa tatsächlich Ansari gehörte. Der sogenannte Vernehmungsraum war in Wirklichkeit eine nach neuestem Stand der Technik eingerichtete Folterkammer. Totalmente insonorizzato, stand in der Baubeschreibung: völlig schalldicht. Das dazu benötigte
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