Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
der Treppe hinunterjagte, als habe er starke Sprungfedern in den Knöcheln, und dann auf die im Stil Palladios ausgeführte Haustür zustürmte. Allerdings war diese Tür nicht sein eigentliches Ziel, denn auch sie würde mit einem Magnetschloss gesichert sein.
Belknap schlug einen Haken und hielt plötzlich auf das nur sechzig Zentimeter breite farbige Bleiglasfenster neben der Haustür zu. Die römischen Denkmalschutzbestimmungen untersagten jegliche Veränderungen an der Fassade der Villa, und das galt auch für dieses Fenster. Die Architekten wollten es durch eine Nachahmung aus schussfestem und unzerbrechlichem Kunstharz ersetzen, aber es würde noch Monate dauern, bis das Imitat, bei dem Techniker und Künstler zusammenarbeiten mussten, eingebaut werden konnte. Jetzt warf er sich gegen die Scheibe, durchbrach sie mit Schulter und Hüfte, hielt das Gesicht abgewandt, um es vor Splittern zu schützen, und …
Das Bleiglasfenster gab nach, sprang aus seinem Rahmen und zersplitterte auf dem Pflaster vor der Haustür. Elementarphysik: Die Bewegungsenergie entsprach der Masse mal dem Quadrat der Geschwindigkeit.
Belknap kam sofort wieder hoch und rannte den gepflasterten Weg vor der Villa hinunter. Aber seine Verfolger waren nur wenige Sekunden hinter ihm. Er hörte ihre stampfenden Schritte … und dann ihre Schüsse. Während aufblitzendes Mündungsfeuer die Dunkelheit erhellte, schlug er willkürliche Haken, um ein möglichst schlechtes Ziel zu bieten. Und während
er versuchte, den Pistolenschüssen auszuweichen, betete er darum, nicht von einem ungezielten Querschläger getroffen zu werden. Keuchend, nach Atem ringend und zu aufgeregt, um sich seine Verletzungen bewusst zu machen, bog er links ab, spurtete zu der niedrigen Ziegelmauer, die das Grundstück begrenzte, und hechtete darüber. Bandstacheldraht schlitzte ihm die Kleidung auf, sodass sein halbes Hemd zerfetzt im Stacheldraht zurückblieb. Er stürmte durch die Gärten der benachbarten Konsulate und kleinen Museen an der Via Angelo Masina weiter, und ihm war bewusst, dass sein linker Knöchel bald stechende Schmerzsignale aussenden würde, dass seine Muskeln und Gelenke irgendwann gegen diesen Missbrauch protestieren würden. Vorläufig war das Schmerzempfinden seines Körpers jedoch durch Adrenalin lahmgelegt. Dafür war er dankbar. Und er war auch für etwas anderes dankbar.
Er lebte noch.
BEIRUT
Der Konferenzraum stank nach Menschenleibern, die sich, von Kugeln durchsiebt, entleert hatten: nach kupfrigem Blutgeruch und Fäkalgestank. Dies war ein Schlachthausgestank, ein Angriff auf die Geruchsnerven. Weiß verputzte Wände, gepflegte Haut, teure Stoffe – sie alle waren mit den Körperflüssigkeiten Verblutender getränkt.
Der kleinere der beiden Leibwächter des Amerikaners fühlte einen brennenden Schmerz, der sich durch seinen Oberkörper ausbreitete: Eine Kugel hatte seine Schulter, vielleicht auch einen Lungenflügel durchschlagen. Trotzdem blieb er bei Bewusstsein. Unter fast geschlossenen Lidern hervor registrierte er das Blutbad in dem Raum, das schrecklich großspurige Auftreten der mit Kaffijahs getarnten Attentäter. Nur der Mann, der sich Ross
McKibbin nannte, war unverletzt geblieben. Er betrachtete die Szene um sich herum wie von Entsetzen gelähmt. Einer der Eindringlinge zog ihm grob eine schlammbraune Kapuze über den Kopf. Dann schleppten sie den verwirrten Amerikaner aus dem Raum und hasteten mit ihm die Treppe hinunter.
Der hechelnd nach Atem ringende Bodyguard, dessen Blut langsam sein Popelinejackett tränkte, hörte den Motor eines Fahrzeugs anspringen, das unten auf der Straße gewartet hatte. Er richtete sich kniend auf und konnte sehen, wie der Amerikaner – jetzt mit auf dem Rücken gefesselten Händen – mit brutaler Gewalt in einen Van gestoßen wurde, der mit ihm in die staubige Nacht davonraste.
Aus einer verdeckten Innentasche seines Jacketts zog der Leibwächter mühsam ein kleines Handy. Es war nur für die Benützung in Notfällen bestimmt. Das hatte sein Führungsoffizier bei Consular Operations ihm nachdrücklich eingeschärft. Mit von arteriellem Blut glitschigen dicken Fingern gab der Mann eine elfstellige Rufnummer ein.
»Chemische Reinigung Harrison«, meldete sich eine gelangweilt klingende Stimme.
Der Verletzte holte keuchend Luft, um seine Lunge zu füllen, bevor er sprach. »Pollux ist gefangen genommen worden.«
»Wie bitte?«, fragte die Stimme. Der US-Geheimdienst verlangte, dass er
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