Die Bancroft Strategie: Roman (German Edition)
kommen würde.
Auch die Sicherheitsschlösser der Aktenschränke konnten Belknaps konzentrierter Arbeit nicht lange standhalten. Er zog eine Schublade auf, nahm einen Packen Schriftstücke heraus und begann darin zu blättern.
Schon nach kurzer Zeit wallte Frustration in ihm auf: Er war kein Fachmann, wusste nicht, wonach er suchen sollte. Er wünschte sich, Andrea Bancroft wäre hier, um ihm zu helfen, die Unterlagen zu sichten. Als er nun eine Schublade nach der anderen aufriss, fand er einen schmalen Aktenordner, der mit R. S. LANHAM beschriftet war.
Der Ordner war leer. Ein nichtssagender Name, ein leerer Aktenordner – geradezu eine Parabel der Vergeblichkeit, die seine Hoffnungen zu verspotten schien. Der Spürhund machte Jagd auf den eigenen Schwanz.
Nach zwanzig Minuten Aktenstudium musste Belknap gegen ermüdende Langeweile ankämpfen. Ja, Andrea hätte sich hier wie zu Hause gefühlt: die Prüfung von Firmenunterlagen – genau ihre Spezialität. Aber er zwang sich zum Weitermachen, überflog weitere langweilige Geschäftsvorfälle. Erst als er auf einen Stapel Unterlagen mit dem Stempel KOPIE stieß, wurde er fündig. Dabei handelte es sich um die Gründungsunterlagen eines Offshore-Unternehmens, die er so rasch überflog, dass er den Namen erst nicht als Namen wahrnahm. Nicht als willkürlich gewählten Firmennamen, sondern als den Namen einer natürlichen Person. Hier stand: Nikos Stavros.
Belknap sprach den Namen leise aus. Diesen Namen kannte jeder – er gehörte einem griechisch-zyprischen Multimilliardär. Nikos Stavros war ein öffentlichkeitsscheuer Mann, dessen international breit gestreute Besitztümer legendär waren.
Dazu gehörte, wie aus diesen Unterlagen hervorging, ein 49-prozentiger Anteil an Estotek.
War Stavros in Wirklichkeit Genesis? War »Lanham« sein Tarnname? Aber Andrus Pärt hatte gesagt, Lanham sei ein Amerikaner. Wem gehörte übrigens die andere Hälfte dieser Firma – und was kontrollierte Estotek genau? Belknap starrte eine Fotokopie mit der Überschrift PARTNERSCHAFTEN an und versuchte daraus schlau zu werden. Er raffte sich auf, trat an die innere Tür und drückte die Klinke herab. Die Tür war zum Glück nicht abgeschlossen. Er betätigte den Lichtschalter. Die Neonröhren der Deckenbeleuchtung flammten auf, und er sah eine weitere Reihe schwarzer Stahlschränke. Zehn Minuten später begann er zu verstehen, wie komplex dieses Unternehmen, dieser zu neun Zehnteln unter Wasser liegende Eisberg namens Estotek, war.
Elf Minuten später hörte er draußen auf dem Korridor die Stiefel von Wachleuten.
Belknap flitzte aus dem inneren Raum wie ein Karnickel aus seinem Bau und sah dabei – ein herzzerreißender Anblick – die vertraute Alarmsicherung auf der Innenseite des Türrahmens. Die Klinke hatte sich herabdrücken lassen, die Tür war aufgegangen. Aber er hatte nicht damit gerechnet, dass diese Tür eigens gesichert sein würde. Mit einer Anlage, die still alarmierte. Nicht einmal die estnische Sprache kannte genügend Schimpfwörter, um die Verachtung auszudrücken, die er für sich selbst empfand.
Und jetzt sah er sich vier gut bewaffneten Wachleuten gegenüber. Sie sahen nicht wie der dickliche Nachtportier unten im Foyer oder der noch immer bewusstlose Wachmann in brauner Uniform aus. Diese Männer waren Profis. Jeder hatte seine Pistole schussbereit in der Hand.
Befehle wurden in verschiedenen Sprachen gebrüllt. Belknap verstand die englischen Worte »Halt! Keine Bewegung!«. Er verstand, dass er die Hände hochnehmen sollte.
Er verstand, dass das Spiel aus war.
Der Uniformierte, der englisch gesprochen hatte, trat auf ihn zu. Er hatte eine von Wind und Wetter gegerbte Lederhaut und scharfe Gesichtszüge. Ein Blick über Belknaps Schulter hinweg zeigte ihm aus den Schubladen gerissene und verstreute Unterlagen.
Auf seinem Gesicht erschien ein triumphierendes Lächeln. »Uns sind Ratten gemeldet worden«, sagte er auf Englisch mit nur leichtem Akzent. »Und nun haben wir die Ratte erwischt, wie sie an unserem Käse knabbert.«
Dann wandte er sich an den jüngsten seiner drei Kollegen, einen blonden Jungen Anfang zwanzig mit Bürstenschnitt und den stark geäderten sehnigen Armen eines begeisterten Bodybuilders. Er sprach irgendeine slawische Sprache; Belknap verstand nur den häufigen serbischen Familiennamen Drakulovic – so hieß der Jüngere offenbar.
»Unternehmensgeschichte – gewissermaßen mein Hobby«, sagte Belknap mit hohler
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