Die Bank
Leute leben noch. Sie haben einfach nur vergessen, wo sie ihr Geld plaziert haben.«
»Du meinst solche Leute wie Mister Duckworth hier?«
»Das ist unser Mann«, sage ich. »Es ist nur bedauerlich, daß er das Geld auf eine andere Bank überweisen will.«
Charlie blickt auf den gefaxten Brief. Er fährt mit dem Finger über die verschwommene Unterschrift. Dann gleitet sein Blick zur obersten Zeile der Seite. Etwas fällt ihm auf. Ich folge seinem Finger. Er liegt unter der Telefonnummer am oberen Rand des Fax.
»Wann hast du diesen Brief bekommen?« fragt Charlie.
»Irgendwann heute im Lauf des Tages, warum?«
»Und wann wird das Geld dem Staat übergeben?«
»Montag. Deshalb hat er wohl dieses Fax geschickt.«
»Ja«, sagt Charlie, aber ich merke, daß er nicht wirklich zuhört. Sein Gesicht ist rot angelaufen.
»Was stimmt denn nicht?« frage ich ihn.
»Sieh mal her«, sagt er und deutet auf die Absendernummer am oberen Rand des Briefes. »Kommt dir diese Nummer bekannt vor?«
Ich nehme das Blatt in die Hand und mustere sie prüfend. »Hab ich noch nie zuvor gesehen. Warum? Kennst du sie?«
»Könnte man sagen …«
»Charlie, komm zur Sache …«
»Es ist die Nummer von Kinko, dem Copy-Shop um die Ecke.«
Ich zwinge mich zu einem nervösen Lachen. »Was redest du da?«
»Was ich dir sage … Die Bank erlaubt uns nicht, das Fax für unsere persönlichen Angelegenheiten zu nutzen. Wenn also Franklin oder Royce mir Notenblätter schicken müssen, dann gehen sie zu Kinko und schicken es exakt von dieser Nummer los.«
Ich starre auf den Brief. »Warum sollte uns ein Millionär, der sich zehntausend eigene Faxmaschinen leisten und geradewegs in unsere Bank marschieren könnte, ein Fax aus einem Copy-Shop um die Ecke schicken?«
Charlies Lächeln ist mir viel zu aufgeregt. »Vielleicht haben wir es ja gar nicht mit einem Millionär zu tun.«
»Meinst du, daß Duckworth diesen Brief nicht selbst gefaxt hat?«
»Hast du in letzter Zeit mit ihm gesprochen?«
»Wir sind nicht dazu verpflichtet …« Ich unterbreche mich, als mir klar wird, worauf er hinauswill. »Wir schicken nur einen Brief an seine letzte bekannte Adresse und einen an seine Familie«, fahre ich fort. »Aber wenn wir sichergehen wollen … Es gibt noch eine Adresse, die lange geöffnet hat …« Ich setze mich auf, stelle den Lautsprecher an und wähle eine Nummer.
»Wen rufst du an?«
Wir hören eine Tonbandstimme. »Willkommen bei der Sozialver…«
Ich höre nicht weiter zu, sondern wähle die Eins, dann die Null und dann die Zwei auf der Tastatur. Ich habe schon häufiger hier angerufen. Musik dringt aus dem Lautsprecher.
»Die Beatles«, bemerkt Charlie. »Let It Be.«
»Leise!« zische ich ihn an.
»Danke für Ihren Anruf bei der Sozialversicherung«, meldet sich schließlich eine weibliche Stimme. »Was kann ich für Sie tun?«
»Hallo, ich bin Oliver Caruso von der Bank Greene & Greene in New York«, antworte ich mit der übertrieben freundlichen Stimme, bei der sich Charlie immer der Magen umdreht. »Ich frage mich, ob Sie uns wohl helfen können. Wir haben hier einen Kreditantrag vorliegen und wollten nur die Sozialversicherungsnummer des Antragstellers bestätigen.«
»Haben Sie ein Aktenzeichen?« fragt die Frau.
Ich gebe ihr die neunstellige Identitätsnummer der Bank. Wenn sie die haben, kommen wir an alle privaten Informationen. So lautet das Gesetz. Gott segne Amerika.
»Und welche Nummer wollen Sie überprüfen?« erkundigt sich die Frau.
Ich lese Duckworths Sozialversicherungsnummer von dem Ausdruck des abgetretenen Kontos ab. »Sie läuft unter dem Namen Marty oder Martin.«
Eine Sekunde verstreicht, dann noch eine. »Sagten Sie, es ginge um einen Kreditantrag?« Die Frau klingt verwirrt.
»Ja«, erwidere ich beunruhigt. »Warum?«
»Weil in unseren Unterlagen der 12. Juni dieses Jahres als Todesdatum eingetragen ist.«
»Ich verstehe nicht ganz …«
»Wenn Sie nach Martin Duckworth suchen … Er ist vor sechs Monaten gestorben.«
4. Kapitel
Ich beende das Gespräch. Charlie und ich starren auf das Fax. »Ich glaub das einfach nicht.«
»Ich auch nicht.« Charlie jubiliert förmlich. »Wie sehr nach Akte X riecht dieser Moment?«
»Das ist kein Spaß«, erwidere ich. »Wer das auch geschickt hat … Er wäre beinahe mit drei Millionen Dollar davonspaziert.«
»Wie meinst du das?«
»Es ist ein perfektes Verbrechen, wenn man genauer darüber nachdenkt. Gib dich als jemand aus, der gestorben ist,
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