Die Bank
massiven gläsernen Griff in der Hand. Gallo liegt benommen auf dem Teppich, aber er ist nicht bewußtlos.
»Raus hier!« schreit Gillian und packt meine Hand. Ich huste und versuche, zu Atem zu kommen. Ich trete über Gallo und will zu Charlie, der langsam den Kopf vom Teppich hebt. Sein Blick zuckt hin und her, zuerst zu Gillian, dann zu mir und wieder zu Gillian zurück. Er steht unter Schock. Gillian packt einen Arm, ich den anderen. Wir heben ihn unter den Achseln hoch und stellen ihn auf die Füße.
»Bist du okay? Kannst du mich hören?« frage ich ihn.
Er nickt und gewinnt rasch sein Gleichgewicht wieder. »Schaff uns hier raus!« Seine Stimme klingt kein bißchen ängstlich, sondern nur wütend.
Gillian geht voran. Sie wendet sich nicht zur Vordertür, sondern nach hinten zum Schlafzimmer. Sie stürmt voraus, gefolgt von Charlie. In dem Moment, als ich hinterherlaufen will, packt jemand meinen Knöchel und dreht mir den Fuß um. Der Schmerz durchzuckt mich wie ein Stromschlag, und ich stürze. Es ist DeSanctis, der meinen Knöchel nicht losläßt. Er liegt auf dem Bauch und kriecht auf mich zu. Blut rinnt aus seinem Haaransatz über die Stirn hinunter bis zur Wange.
Ich robbe auf den Ellbogen zurück und trete wie wild um mich. Seine Fingernägel graben sich in meinen Knöchel. Ich kann ihn nicht abschütteln. »Charlie!«
Ich sehe mich um, und da ist mein Bruder bereits da. Sein Schuh landet mit voller Wucht auf DeSanctis Handgelenk. Der Agent heult vor Schmerz auf und läßt los. Dabei sieht er Gillian an.
»Was hast du …?«
Noch bevor DeSanctis den Satz zu Ende sprechen kann, tritt Gillian wie entfesselt zu und trifft ihn am Kopf. Ein fürchterliches Knacken ist zu hören, das Gillian jedoch nicht beeindruckt. Sie tritt wieder zu. Ihr Schuh hat die Wirkung eines Ziegelsteins.
»Das reicht!« Charlie zieht sie zurück. Von meiner Position aus ist er sieben Meter groß. Der neue große Bruder. »Raus hier!« Er zieht mich hoch.
Da wir nicht wissen, was am Vordereingang auf uns wartet, stürmt er zur Rückseite des Hauses. Ich ignoriere meinen schmerzenden Knöchel und humple, so schnell ich kann, über den Flur hinter ihm her. Gillian legt ihre Hand auf meine Schulter. »Immer weiter«, flüstert sie. Wir stürmen durch das Schlafzimmer. Die Schiebetüren, durch die man in den Garten gelangt, stehen weit auf.
»Rechts rum!« ruft Gillian.
Charlie sucht sich aber lieber seinen eigenen Weg und biegt nach links ab.
Draußen finden wir uns auf einem zementierten Hof wieder. Die Wand vor uns ist zu hoch. Nach links geht es durch den Garten des Nachbarn. Die Hinterhöfe sind anscheinend alle miteinander verbunden. Charlie ist schon am Ende angelangt und benutzt einen rostigen, sonnengebleichten Liegestuhl als Kletterhilfe über die Mauer.
»Schnell!« ruft Charlie. Ein Bein hat er schon auf der anderen Seite.
»Mein Wagen steht dahinten!« Gillian zerrt mich gewaltsam nach rechts.
Ich sehe mich einen Moment unschlüssig in beide Richtungen um, aber die Antwort ist einfach. »Warte, Charlie!« Ich will zu meinem Bruder laufen.
»Bist du verrückt geworden? Hier lang ist es sicherer!« Gillian gibt nicht nach.
Ich halte nicht einmal inne.
»Ich meine es ernst!« fährt sie fort. »Wenn du jetzt gehst, dann seid ihr auf euch allein gestellt!« Es ist zwar eine wirkungsvolle Drohung, aber offenbar will Gillian selbst auch nicht allein bleiben. Sie läuft kopfschüttelnd hinter mir her.
»Kommt schon, sie können jede Sekunde auftauchen!« schreit Charlie und hebt sein anderes Bein über die Mauer. Er stemmt sein Gewicht auf die Arme, stößt sich von der Mauer ab und springt.
»Warte eine Sek…« Zu spät, er ist schon weg.
Ich springe auf den Liegestuhl und spähe über den Rand der Mauer, aber gerade als ich Charlie auf der anderen Seite sehe, knallt es. Fünf Zentimeter neben meinem Gesicht fliegt der Putz von der Mauer und sprüht in alle Richtungen. Ich kneife die Augen zusammen, als ich versuche, etwas zu erkennen. Am anderen Ende der Straße humpelt Gallo um die Ecke und zielt mit seiner Waffe direkt auf mich.
»Deckung!« schreit Charlie.
Ein zweiter Schuß peitscht auf.
Ich ducke mich, verliere das Gleichgewicht und falle von dem Stuhl. Dann starre ich auf die Mauer, die mich von meinem Bruder trennt.
»Oliver?« ruft Charlie.
»Lauf weg!« schreie ich. »Mach, daß du da wegkommst!«
»Nicht, bis du …!«
»Lauf, Charlie! Sofort!«
Für eine Diskussion haben wir keine Zeit.
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