Die Bank
wir über die Rampe auf die 44th Street gelangen. Wir tauchen in der Menge der Leute unter, aber ich höre in der Ferne bereits die Sirenen heulen.
Ich sehe Charlie an, und er mustert mich. Wir sind nicht mehr nur Diebe. Wenn Gallo und DeSanctis mit uns fertig sind, dann gelten wir als Mörder.
»Sollen wir Mom anrufen …?«
»Auf keinen Fall!« erwidere ich. »Bei ihr werden sie zuallererst suchen.«
Die Sirenen kommen näher, und wir mischen uns in die Schlange, die vor einem Pizzaladen ansteht. Mittlerweile ist das Heulen beinahe ohrenbetäubend. Am Ende des Blocks bremsen zwei Polizeiwagen ab und rasen mit quietschenden Reifen zum Eingang der Grand Central auf der Vanderbilt Avenue. Wir haben zwar den Kopf gesenkt, aber wie alle anderen in der Schlange starren wir neugierig hin. Nach einigen Sekunden schlagen Türen, und vier uniformierte Beamte laufen in das Gebäude.
»Komm mit!« sage ich und springe aus der Reihe.
Bist du sicher, daß du rennen willst? fragt mich Charlies Blick.
Ich reagiere nicht darauf. Wie er schon sagte, es geht nicht mehr um meinen Ärger. Oder um eine hitzige, saudumme Rache an Lapidus. Es geht darum, daß wir am Leben bleiben. Und nach fast fünfzehn Jahren in der zweiten Reihe weiß Charlie den Wert eines Frühstarts zu schätzen.
»Weißt du denn, wohin wir wollen?« ruft er, während er mir folgt.
Ich laufe bereits zum anderen Ende des Blocks. »Nicht genau«, erwidere ich. »Aber ich habe da so eine Idee.«
14. Kapitel
Joey war die achte auf der Liste. Natürlich war der erste der Unterzeichner der KRG-Versicherung, der die Police ausgestellt hatte. Lapidus biß ihm innerhalb von Sekunden den Kopf ab und erzwang eine rasche Übergabe an einen Analysten für Vertrauensschadensersatz, der, als er die Höhe der fraglichen Summe erfuhr, den Chef der Abteilung anrief, der wiederum den Präsidenten der Schadensersatzabteilung anrief, der wiederum den Vorstandsvorsitzenden benachrichtigte. Der CEO tätigte zwei Anrufe, einen bei einer staatlichen Revisonsgesellschaft und einen bei Chuck Sheafe, dem Chef von Sheafe International. Von ihm verlangte er persönlich den Einsatz seines besten Ermittlers. Sheafe zögerte keine Sekunde, sondern empfahl augenblicklich Joey.
»Gut«, sagte der Vorsitzende. »Wann kann er hier sein?«
»Sie meinen sie.«
»Was reden Sie da?«
»Spielen Sie nicht den Macho, Warren. Jo Ann Lemont«, erklärte Sheafe. »Wollen Sie nun unseren besten Mann, oder wollen Sie einen Pfadfinder?«
Mehr brauchte er nicht zu sagen. Der achte Anruf erreichte Joey.
»Haben Sie eine Ahnung, wer das Geld gestohlen hat?« Joey saß in dem Sessel vor Lapidus’ Schreibtisch.
»Natürlich weiß ich nicht, wer es gestohlen hat«, brüllte Lapidus. »Was ist das für eine blöde Frage?«
Sie ist vielleicht blöd, dachte Joey, aber ich muß sie stellen. Und sei es nur, um seine Reaktion zu sehen. Wenn er log, würde er sich verraten. Ein kurzes Wegschauen, ein unbehagliches Grinsen, etwas Hohles in seinem Blick. Während sie sich das kurze kupferrote Haar aus der Stirn strich, wurde ihr wieder einmal klar, daß dies ihre besondere Gabe war. Sich zu konzentrieren und die Wahrheit herauszufinden. Sie hatte es während der Pokerspiele mit ihrem Vater gelernt und es während ihres Jurastudiums verfeinert. Manchmal war es die Körpersprache. Und manchmal war es … etwas anderes.
Als Joey das Büro von Lapidus zum ersten Mal betrat, fiel ihr sofort der prunkvolle viktorianische Türknopf aus Bronze auf. Er hatte ein verschlungenes Relief, fühlte sich kalt an und war schwer zu bedienen, ein Einzelstück unter den anderen Türknöpfen im Gebäude. Joey erkannte, daß es für Vorstandsvorsitzende genau darum ging. Alles für den ersten Eindruck.
»Gibt es noch etwas, Miss Le…?«
»Joey«, unterbrach sie ihn. Der Blick ihrer schokoladenbraunen Augen schoß von ihrem gelben Notizblock hoch. Sie hatte zwar einen Stift in der Hand und den Block auf ihrem Schoß liegen, aber noch kein einziges Wort aufgeschrieben. Seit man ihren ersten Schreibblock beschlagnahmt hatte, war sie klüger geworden. Trotzdem lockerte so ein Block manchmal die Situation auf. Genauso wie die Anrede mit Vornamen. »Bitte … Nennen Sie mich Joey.«
»Ich will Ihnen nicht zu nahe treten, Joey, aber wenn ich mich recht erinnere, hat man Sie engagiert, um dreihundertdreizehn Millionen Dollar zu finden. Warum suchen Sie das Geld nicht?«
»Genau danach wollte ich Sie gerade fragen …«, begann sie,
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