Die Bank
ich über Gallos Schulter hinweg. Hinter ihm hockt Charlie auf den Knien. Sein Blick zuckt durch den Raum und sucht einen anderen Ausweg. Doch wohin er auch blickt, er sieht nur Shep.
»Sei nicht dumm, Oliver«, warnt Gallo mich. »Gib auf, und ihr könnt von hier weggehen, ohne daß euch ein Härchen gekrümmt wird.«
»Sag ihm nichts!« schreit Charlie. »Wenn du ihm auch nur einen Vierteldollar gibst, wird er uns hier neben Shep liegen lassen.«
»Halt die Klappe!« fährt Gallo ihn an und richtet seine Waffe auf Charlie.
Ich bin steif vor Angst und beinahe vollkommen paralysiert. Der Blick meines Bruders trifft mich wie ein Schlag und reißt mich heraus. Sag ihm nichts, warnt er mich. Sag ihm gar nichts. Das Problem ist nur, daß Gallo meine Schwäche bereits kennt, ganz gleich, wie gut mein Pokerface auch sein mag.
Gallo hat die Waffe immer noch auf Charlie gerichtet und grinst hämisch, während er langsam den Hahn seiner Waffe spannt. Er wartet auf meine Reaktion. »Wieviel ist er dir wert, Oliver?«
»Bitte nicht …!« flehe ich ihn an. Die Worte sind kaum verständlich.
DeSanctis will jede Chance im Keim ersticken und schiebt sich direkt hinter mich. Die Waffe bohrt er in meinen Nacken.
Hinter meinem Bruder legt Gallo kurz den Finger auf den Abzug. Die Waffe deutet immer noch auf Charlies Kopf, aber der Agent beobachtet mich. Charlie kniet immer noch neben Sheps Leiche und verrenkt sich den Kopf, um meine Aufmerksamkeit zu erregen. Meine Augen werden glasig. Wir wissen beide, was uns erwartet. Ganz gleich, was wir Gallo auch geben, er kann uns nicht am Leben lassen. Nicht nach allem, was wir gesehen haben. Immer noch sucht Charlie mein Gesicht, sucht nach etwas … nach irgendwas … um uns hier herauszubringen – aber es kommt nichts.
Eigensinnig bis zum letzten Atemzug dreht er sich nach vorn und starrt auf Sheps Leiche. Doch erst als ich Sheps Blut durch die Ritzen in den Bodenbrettern versickern sehe, erkenne ich sie. Unsere einzige Chance. Mein Bruder hat mir zwar immer noch den Rücken zugekehrt, trotzdem bemerke ich das plötzliche Zucken in seinen Schultern. Er hat es auch gesehen. Charlie beugt sich vor, als wäre der Druck zu groß, kniet sich dicht neben Sheps Leichnam … und umfaßt vorsichtig mit den Fingern die Ecken der lockeren Holzplanke auf dem Boden.
»Du weißt, wie du ihn retten kannst«, warnt mich Gallo, der mich nicht aus den Augen gelassen hat. »Sag uns einfach, wo das Geld ist.« Von dort, wo der Agent steht, kann er nicht sehen, was Charlie macht. Aus einem Meter Entfernung sehe ich jedoch alles. Ich bewege mich rasch zur Seite, damit DeSanctis sowenig wie möglich mitbekommt.
»Bitte tun Sie ihm nicht weh«, bettle ich Gallo an. »Sie kriegen alle Informationen. Ich muß sie nur aus der Bank holen … ich habe sie nicht bei mir.«
Ich kann nur versuchen, ein bißchen Zeit zu schinden.
Charlie tut derweil so, als würde er sich für den tödlichen Schuß wappnen, und bückt sich noch tiefer … und faßt dabei den Rand der Holzplanke fester. Das Brett wackelt zwar, aber das reicht noch nicht. Ein Nagel hält es noch. Charlie konzentriert sich auf den dünnen Spalt zwischen den Bohlen und schiebt seine Finger so weit hinein, wie es geht. Wenn er noch tiefer greift, reißt er sich die Haut an den Knöcheln blutig. Das kann ihn aber nicht abschrecken. Er braucht die Hebelwirkung. Mit einem letzten Ruck reißt er sich die Haut auf. Die Muskeln in seinem Unterarm treten heraus, und ich weiß, daß sich seine Finger nun um die unteren Enden der Planke legen. Du hast es fast geschafft, mach weiter, Bruderherz. Er zieht, so stark er kann, ohne sich selbst zu verraten. Das Brett löst sich.
»Oliver, du bist viel zu gerissen, als daß du dir Informationen nicht eingeprägt hättest«, warnt mich Gallo, während er auf meinen Bruder zielt. »Denk dir was Besseres aus.«
Hinter Gallo dreht sich Charlie so weit herum, daß er mir einen Blick zuwerfen kann. Sag es nicht, bedeutet dieser Blick. Das Brett gibt gleich nach.
»Drei Sekunden«, erklärt Gallo. »Danach kannst du sein Hirn selbst aufsammeln. Eins …«
Noch eine Sekunde, Ollie. Mehr brauche ich nicht.
»Zwei …«
Noch eine kleine Sekunde.
Gallo schiebt den Finger über den Abzug. »Dr…«
»Warten Sie … Tun Sie’s nicht! Wie Sie wollen. Es ist ein Konto in An…«
Beweg dich, Ollie! bedeutet mir Charlie mit einem Blick. Es kracht, als er die Bohle endlich freibekommt.
Gallos Kopf ruckt zu dem Geräusch
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