Die Bank
während sie eine Digitalkamera aus ihrer Aktentasche zog. »Haben Sie etwas dagegen, wenn ich kurz ein paar Fotos mache? Ausschließlich zu Versicherungszwecken …«
Lapidus nickte, und sie schoß schnell vier Fotos. Eines in jede Richtung. Für Lapidus bedeutete das nur eine kleine Unbequemlichkeit. Für Joey war es die einfachste Methode, den möglichen Tatort eines Verbrechens zu dokumentieren. Nimm alles auf , hatte man sie von Anfang an gelehrt. Ein Foto ist das einzige, was nicht lügt.
Joey betrachtete die Kirschholztäfelung und den teuren Teppich, die den Raum mit ihrem dunklen Burgunderrot wärmten. Das Büro selbst war mit asiatischen Kunstwerken vollgestellt. Zu ihrer Linken hing eine gerahmte Schriftrolle, auf der in Kalligraphie ein japanisches Gedicht dem Frühling huldigte, rechts von ihr stand ein Step-Tansu aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg. Es war eine einfache Holzkiste mit kleinen Schubladen. Direkt hinter Lapidus’ Schreibtisch befand sich ganz offensichtlich der Stolz seiner Sammlung: ein Samuraihelm aus der Kamakura-Epoche des dreizehnten Jahrhunderts. Er war aus geschnitztem Holz, das mit glänzendem schwarzen Lack überzogen war. Über der Stirn war ein geschmiedeter silberner Halbmond eingelassen. Joey wußte aus dem Geschichtsunterricht, daß ein Shogun Silberinsignien benutzte, um seine Samurai zu identifizieren und herauszufinden, wie sie sich in der Schlacht schlugen. Wieder ein Boß, der es nicht mag, zu dicht am Geschehen zu sein, dachte sie.
»Wie kommen Sie mit Ihren Angestellten zurecht, Mr. Lapidus?« fragte Joey, während sie die Kamera wieder in ihre Aktentasche steckte.
»Wie ich mit …?« Er unterbrach sich und sah sie scharf an. »Wollen Sie mir da etwa irgendwas unterstellen?«
»Überhaupt nicht.« Sie wich schnell zurück. Trotzdem hatte sie soeben den ersten Knopf gefunden. »Ich versuche nur herauszufinden, ob jemand ein Motiv hatte …«
Die Tür des Büros flog auf. Quincy trat einen Schritt herein, sagte aber kein Wort. Er hielt nur den ovalen Türknauf fest.
»Was?« fuhr Lapidus hoch. »Was ist los?«
Quincys Blick glitt kurz zu Joey und dann wieder zurück zu Lapidus. Es gab Dinge, die man besser unter vier Augen besprach.
»Ist er da?« schrie eine heisere Stimme im Flur. Noch bevor Quincy antworten konnte, drängten sich die Agenten Gallo und DeSanctis ins Zimmer. Joey grinste über die Unterbrechung. Schlecht geschnittener, ausgebeulter Anzug, billige Schuhe, die vom Laufen unansehnlich geworden waren. Die beiden waren keine Bankiers. Was bedeutete, sie waren entweder vom Sicherheitsdienst oder …
»Secret Service!« rief Gallo und ließ kurz seine Marke am Gürtel aufblitzen. »Würden Sie uns bitte einen Moment entschuldigen?«
Joey starrte unwillkürlich auf die geschwollene Wunde auf Gallos Wange. Als er das erste Mal hereingekommen war, hatte er sie noch nicht gehabt. Er hielt den Kopf abgewendet. »Ich nehme an, wir ermitteln in dieser Sache alle gemeinsam«, sagte sie und bemühte sich um einen freundlichen Ton. »Ich arbeite für Chuck Sheafe.« Es kam nicht oft vor, daß sie den Namen ihres Chefs bemühte, aber sie wußte sehr gut, wie das mit dem Vertrauen bei den Behörden funktionierte. Vor fünfzehn Jahren war Chuck Sheafe der dritthöchste Beamte des Secret Service gewesen. Für seine Kollegen hieß das, er gehörte noch zur Familie.
»Also arbeiten Sie für eine Versicherungsgesellschaft?« fragte Gallo.
Das war nicht die Reaktion, die sie erwartet hatte, daher nickte Joey nur.
»Dann sind Sie Zivilistin«, fuhr Gallo schneidend fort. »Also entschuldigen Sie uns.«
»Aber …«
»Auf Wiedersehen, Madam, es war nett …«
»Sie können mich Joey nennen.«
Gallo senkte den Kopf, warf ihr einen Blick wie ein Raubtier zu und zeigte dabei erneut die Wunde auf seiner Wange. Anscheinend gefiel es ihm nicht, wenn er unterbrochen wurde. »Auf Wiedersehen, Joey !«
Joey war zu clever, um sich zu widersetzen, klemmte sich ihren Notizblock unter den Arm und stolzierte zur Tür. Die vier Männer sahen ihr nach, als sie durch den Raum schritt. Das passierte nicht oft. Sie war zwar ziemlich athletisch gebaut, aber keine wirkliche Augenweide. Trotzdem reagierte sie nicht darauf. Sie verdiente ihr Geld damit, knietief in männlichen Egos zu waten. Später würde es noch genug Gelegenheiten geben zu kämpfen.
Als die Tür hinter Joey ins Schloß fiel, rieb Lapidus seine Handflächen an seinem kahlen Schädel. »Bitte sagen Sie mir,
Weitere Kostenlose Bücher