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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Vater sie an die Hand genommen hatte, um mit ihr in den Horizont einzutauchen, der in etwa die Farbe dieser Morgendämmerung hatte. War es denn eine Morgendämmerung oder war es gar Abend? Machte es einen Unterschied, ob er es wußte?
    Vor dem Haus plötzlich lautes Gekreische, zwei Kater, die sich bekriegten und laut schreiend davonstoben. David stand auf, seine Beine waren statt mit Blut mit Blei gefüllt, und ging ans Fenster. Die Straße lag still. Keine Musik aus irgendeiner Wohnung, nur ein alter, gebrechlicher Mann, der mit müden, schlurfenden Schritten aus der Haustür trat. David kannte ihn, der alte Mann mit dem stoppeligen Gesicht, die Hose von unzähligen Flecken übersät, saß jeden Tag, bei Wind und Wetter, auf einer Bank am Rande des Spielplatzes unter einem Baum, und er rauchte und trank Bier und dann und wann einen Schnaps, und irgendwann würde er einfach umfallen und tot sein. Auch jetzt hatte er eine Flasche in der ausgeleierten Tasche seines speckigen Sakkos, und er bewegte sich mit winzigen Schritten geradewegs auf
seine
Bank zu. Für Sekunden tat der Mann David leid, denn irgendwann mußte er jung und hoffnungsvoll gewesen sein, irgendwann hatte er vielleicht eine Familie, um die er sich sorgte, irgendwann hatte er gearbeitet und all seinen Lohn nach Hause getragen, und irgendwann war alles zusammengebrochen, und irgendwann war er die wenigen Sprossen, die er im Laufe seines Lebens erklommen hatte, heruntergefallen und wie wertloser Schrott hier abgeladen worden. Und jetzt lebte er vielleicht nur auf den Tod hin, vielleicht wußte er, daß er ihn sich selber holte, vielleicht holte er ihn bewußt. In seinen verkrüppelten Fingern hielt er eine Zigarette, er hustete langgezogen und quälend und spie aus. David sah ihm nach, dann drehte er sich um und zog denVorhang zu. Lebte der alte Mann einst ähnlich wie David, würde David vielleicht eines Tages so enden wie er?
    Er entleerte seine übervolle Blase, das Wasser spritzte mit gewaltigem Druck in das Becken, er betätigte zweimal kurz die Spülung. Er wusch sein Gesicht kalt ab, ließ Wasser über die Unterarme laufen und stützte sich auf das Waschbecken, die Übelkeit wurde heftiger, die Stiche peinigender, und mit einemmal erbrach er sich und würgte, und als nichts mehr in seinem Magen war und seine Augen fast aus den Höhlen traten, kam zuletzt eine zähe Masse grünlicher, bitter schmeckender Schleim. Er würgte noch ein paarmal, es war wie leichte Nachbeben nach dem großen Beben, er hielt die Luft an, um den quälenden Reiz zu unterdrücken, dann wusch er sich ein zweites Mal, spülte den Mund aus und ging ins Bett. Er legte sich auf den Rücken, und schließlich rollte er sich zusammen wie ein Embryo im Mutterleib, und er betete leise vor sich hin, und er sagte Gott, daß er Mitleid mit ihm haben solle, er sei doch eigentlich kein schlechter Mensch. Er wollte einschlafen, konnte es aber nicht – die Übelkeit. Er holte die Flasche Whisky, nahm einen tiefen Schluck, stellte sie neben das Bett. Die Übelkeit verschwand, er schlief ein.

Dienstag, 8.15 Uhr
    Als David, vom grellen Sonnenlicht geblendet, vor dem selbst die Vorhänge keinen Schutz boten, erwachte, schien es, als wollte der kleine böse Mann David vernichten. Er blickte zur Uhr, halb neun, absolute Leere im Bauch, nur Luft, die sich, sobald David sich bewegte, mit Macht einenWeg ins Freie bahnte. Er stand auf und holte sich die letzten zwei Bananen aus der Küche und aß sie, danach nahm er ein Aspirin. Er sah nach, ob Alexander gekommen war; sein Zimmer war leer. David schüttelte den Kopf, warum hatte der Junge keine Nachricht hinterlassen, daß er wieder nicht nach Hause kommen würde? Wenn er nur einen Blick hinter seine Stirn werfen könnte! Er würde ihm diesmal gehörig die Meinung geigen. Erst einmal würde er ihm eine deutliche Nachricht unübersehbar auf einem riesigen Zettel auf dem Tisch hinterlassen.
    David setzte Wasser auf, steckte zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster und holte Marmelade und Butter aus dem Kühlschrank. Er stellte das Radio an, Musik und Werbung, ein paar Informationen. Um neun die Nachrichten, die über Krieg und Verwüstung, über einen Antrag auf eine Verfassungsänderung, eine Geiselnahme in einem Supermarkt, bei der der Geiselnehmer von Scharfschützen der Polizei getötet worden war, und über einen verheerenden Orkan, der über die Karibik gefegt war, berichteten. Zum Schluß das Wetter mit trostlosen, entmutigenden Aussichten. Die

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