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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Mann sackte noch ein Stück mehr in sich zusammen, das Zittern seines Stockes wurde zu einem Beben, und als David an ihm vorbeiging, sah er Tränen aus seinen alten, matten Augen quellen und in den tiefen Gräben seiner Mundwinkel versickern. Die tröstende Frau machte ein betroffenes Gesicht und wandte sich schnell zum Gehen, während der alte Mann gestützt von zwei Helfern in den Krankenwagen stieg, der Sekunden später losfuhr, ohne Sirene, ohne Blaulicht, ein großer, fahrender Sarg.
    Wenige Minuten vor fünf kehrte David nach Hause zurück. Die Wohnung war unberührt, der für Alexander bestimmte Zettel noch immer am selben Platz. David zog die Stirn in Falten, er war zornig über die Schamlosigkeit, mit der Alexander seine Freiheit ausnutzte. Er verstaute die Lebensmittelim Kühlschrank beziehungsweise in der Obstschale, danach duschte er fast kalt, zog frische Unterwäsche an (es wurde Zeit, daß er sich neue, sportlichere zulegte!) und setzte sich vor den Fernsehapparat. Er legte die Beine hoch, trank in kleinen Zügen einen Whisky mit unendlich viel Eis und starrte auf den Bildschirm, ohne wirklich zu sehen, was dort lief. Er hatte das Telefon neben sich gestellt, für den Fall, daß Johanna anrief. Als der Apparat um sechs Uhr mit leisem Surren auf sich aufmerksam machte, nahm David sofort den Hörer ab. Es war Alexander.
    »Hallo, Papa«, sagte er, und in seiner Stimme schwang eine winzige Spur Reue mit, »tut mir leid, daß ich mich jetzt erst melde, aber ich habe gestern versucht, dich zu erreichen, und …«
    »Wo bist du, verdammt noch mal?« blaffte David ihn an. »Hast du eigentlich eine Ahnung, welche Sorgen ich mir mache?! Als Mutti gestern angerufen hat, habe ich ihr natürlich nichts davon gesagt, daß du verschwunden bist, aber ich finde, du übertreibst es! Wo bist du?«
    »Ich bin mit Freunden zusammen. Wir zelten in der Nähe von Hanau. Ich wollt dir nur sagen, daß ich bis Sonntag bleibe. Tut mir leid, ich wollte dir eine Nachricht hinterlassen, aber ich hab’s vergessen.«
    »Mit welchen Freunden bist du zusammen?«
    »Die üblichen, Stefan, Hartmut und noch ein paar.«
    »Sind auch Mädchen mit?«
    »Warum willst du das wissen?«
    »Es interessiert mich einfach.«
    »Ein paar.«
    »Ihr macht aber keinen Blödsinn, oder?«
    »Ich weiß zwar nicht, was du unter Blödsinn verstehst, aber keine Angst, ich werde meine Unschuld schon nicht verlieren.«
    »Ich weiß jetzt jedenfalls, was ich Mutti zu sagen habe. Und paß auf dich auf.«
    »Werd ich. Tschüs.«
    David war erleichtert. In seinem Innersten hatte er schon fast befürchtet, Alexander könnte etwas zugestoßen sein, schließlich hatte der verfluchte Kerl mit der Fistelstimme der gesamten Familie gedroht. Aber solange Alexander mit seinen Freunden zusammen war …
     
    Um kurz nach sechs rief auch noch Johanna an. Sie wirkte gelöst und zufrieden. »Die Kinder sind aus dem Wasser überhaupt nicht mehr rauszukriegen, es hat Mittelmeertemperatur. Glaub mir, im Wohnwagen ist es kaum auszuhalten, bestimmt sind es trotz der geöffneten Fenster vierzig Grad, die einzige Möglichkeit, sich abzukühlen, besteht tatsächlich nur darin, ins Wasser zu gehen oder aber einen Spaziergang in den Wald zu machen, wo es auch noch einigermaßen erträglich ist. Heute morgen sind ganze Kolonnen von Bundeswehrfahrzeugen aufgetaucht und haben sich auf dem Gelände hinter dem Wald breitgemacht, und du kannst dir denken, wie die Kinder und Jugendlichen, Nathalie und Maximilian eingeschlossen, ganz wild darauf waren, die Soldaten aus nächster Nähe zu begutachten.« Sie machte eine kurze Pause, fuhr fort: »Na ja, ich habe mich als junges Mädchen auch immer ganz gerne bei den Soldaten rumgedrückt, es waren halt Männer, die Eindruck machten.« Wie oft hatte er sich diese Geschichte schon anhören müssen, wie oft hatte sie ihn damit gelangweilt!
    Bevor ihr Geld vom Automaten aufgebraucht war, sagte David: »Alexander ist übrigens die ganze Woche über gut untergebracht. Er ist mit seinen Freunden campen.«
    »Schön, dann kann ihm auch nichts passieren … Puh, ist das heiß hier in der Zelle. Aber David, ich vermisse und ich liebe dich.« Es klang wie eine Phrase – verdammte, abgedroschene Phrasen, diese ganze Welt bestand wohl aus nichts als leeren, dahingeplapperten Worten! David antwortete, auch eine Phrase: »Ja, es wäre schön, könnte ich bei dir sein, und ja, ichliebe dich auch.« Dann machte es ein paarmal kurz hintereinander piep-piep-piep,

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