Die Bankerin
rasend schnell ein außer Kontrolle geratenes Kettenkarussell, und er saß darauf, und je schneller es sich drehte, desto mehr verschwamm die Umgebung. Er holte die Flasche Whisky aus dem Kühlschrank (er konnte sie jetzt, wo er allein zu Hause war, offen aufbewahren, ohne daß Alexander ihm dumme Fragen gestellt hätte), schraubte den Verschluß ab und schenkte sich, um das Kettenkarussell in seinem Kopf zum Stillstand zu bringen, ein Wasserglas bis zur Hälfte ein. Er schüttete den Inhalt mit einem Zug hinunter, schüttelte sich und schenkte nach, diesmal eine Idee weniger. Das Karussell stoppte, er nahm seine Umgebung wieder wahr. Seine Atmung wurde ruhig und gleichmäßig, das Pochen in seinen Schläfen ließ nach, das Vibrieren, das seinen gesamten Körper erfaßt hatte, verschwand.
Hatten sie es doch auf ihn abgesehen? Aber wenn – warum? Die Fistelstimme war jedenfalls nur ein ausführendes Organ, das stand jetzt fest, obwohl er ihn bis eben als den Drahtzieher des Ganzen angesehen hatte. Wer aber war dann derAuftraggeber? Wer hatte ein solches Interesse daran, ihn und seine Familie zu vernichten?
David aß eine Kleinigkeit und setzte sich ins Wohnzimmer, blieb ein oder zwei Minuten sitzen, ging auf die Toilette und zog sich aus, um zu duschen. Das kühle Wasser tat ihm gut, er ließ den Strahl lange über seine Haare laufen, er benutzte das mentholhaltige Duschgel, und für Momente fröstelte ihn sogar.
Als David sich abtrocknete, rief Johanna an. Ihre Stimme klang kühl und spröde.
»Ich will mich nur kurz melden, weil du ja wieder den ganzen Abend arbeiten mußt. Aber du sollst noch einmal wissen, daß ich nichts, aber auch gar nichts von dem, was ich dir vorgeworfen haben, bereue. Weißt du, mir ist mit einemmal mit aller Deutlichkeit klargeworden, daß du in Wahrheit ein elender Egoist bist, der nur auf seinen eigenen Vorteil bedacht ist …«
»Stop …«
»Laß mich ausreden! Ich werde mich damit abfinden, glaub mir.«
»Willst du dich von mir trennen?«
»Nein, David, das habe ich nicht vor. Aber ich werde in Zukunft andere Prioritäten setzen. Nicht du stehst mehr an erster Stelle, sondern ich, dann kommen die Kinder und dann erst du. Vielleicht kommst du dann endlich zur Besinnung … Außerdem hört sich deine Zunge schwer an, so als hättest du getrunken. Du bist so tief gesunken, du denkst nur noch an dich, und du säufst, und auch das ist für mich ein Zeichen für deine Abkehr von alten,
mir
so bedeutsamen Werten.«
»Noch was?« fragte David kühl.
»Eines noch – ich weiß, warum so oft so viele Tage oder Wochen verstreichen, bevor du dich einmal dazu herabläßt, mit mir … na ja, du weißt schon, wovon ich spreche. Aber ich bin nun mal nicht mehr die Jüngste, und ich sehe nichtmehr aus wie zwanzig. Ich bin sechsundvierzig, vergiß das nicht. Aber ich habe einen Körper, und ich habe Gefühle. Doch auch du solltest dich damit abfinden, kein junger Gockel mehr zu sein. Denk bloß nicht, die jungen Mädchen warten nur auf dich …«
»Jetzt fängst du aber an zu spinnen. Als ob ich mich jemals nach anderen Frauen oder Mädchen …«
»Ach komm, meinst du vielleicht, ich bekomme nicht mit, wenn du mit lüsternen Augen den jungen Dingern hinterherschaust?«
»Johanna, bitte, vielleicht befinde ich mich einfach nur in einer Krise. So was soll es auch bei Männern geben. Ich liebe dich doch.« (Lügner!)
Darauf lachte Johanna nur – ein seltsames, fernes Lachen –, und das war beileibe nicht die Johanna, die David kannte. Hohntriefend meinte sie: »Du jammerst seit einem Jahr! Aber keine Angst, ich werde ab jetzt meinen Mund halten. Und ich werde dich auch während der nächsten paar Tage nicht anrufen, es hat ja doch keinen Zweck, mit dir zu reden.«
Bevor sie auflegte, sagte David: »Ich möchte zu gern wissen, warum du überhaupt angerufen hast. Wolltest du mich nur fertigmachen …? Johanna, ich liebe dich wirklich. Bitte verzeih mir, wenn ich einen Fehler begangen habe.«
»Liebe, Liebe!« schleuderte sie ihm entgegen. »Du weißt doch überhaupt nicht, was das ist! Ich habe mich in dir getäuscht, und ich habe über zwanzig Jahre gebraucht, um den wahren David von Marquardt zu erkennen, die Fassade von deinem hübschen, charmanten Gesicht abzukratzen und dahinter nichts als leblose, lichtlose Leere vorzufinden.«
David hörte ihr einfach nur zu, erwiderte nichts darauf, sagte lediglich: »Paß auf dich und Maximilian auf …«
Doch Johanna lachte wieder nur. »Was
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