Die Bankerin
schloß die Augen, Pochen in seinen Schläfen, er glaubte zu spüren, wie die Adern sich aufblähten, um im nächsten Moment zu zerplatzen. Eigentlich wollte er nur raus hier, ins Bett, sein eigenes Bett gehen und schlafen und denken und warten.
»Und, wie lautet Ihre Antwort?«
»Lassen Sie mir vielleicht eine andere Wahl?«
»Gut, sehr gut«, sagte sie zufrieden und stand auf, schloß das Fenster, zog die samtenen, dunkelblauen Vorhänge zu. »Ich weiß, der Anfang ist das schwerste. Wahrscheinlich wird Ihnen das erste Mal besonders schwerfallen. Möchten Sie vielleicht noch etwas trinken, um sich zu entspannen? Oder wollen Sie ein Bad nehmen? Ich sollte am besten gleich sagen, daß ich extrem viel Wert auf Hygiene lege, vor allem wenn es um Geschlechtsverkehr geht.«
Er sah zu Boden, zuckte mit den Schultern, schwieg, schämte sich, glaubte noch immer nicht, daß das, was er hier erlebte, Wirklichkeit war.
»Sie können natürlich auch beides haben. Ich werde Wasser einlaufen lassen, und dann trinken wir noch einen.« Sie lehnte die Tür nur an. Sie ließ ihn allein im Weltallzimmer. Die Aufregung ließ ihn zittern. Er ging ins Wohnzimmer, sie hatte die Flasche stehengelassen, absichtlich, wie er annahm. Trotz der Übelkeit trank er noch einen Cognac, an diesem Abend tat er sowieso lauter Dinge, die gegen seine bisherigen Lebensregeln verstießen. Dann ging er zurück ins Schlafzimmer, ließ sich rücklings aufs Bett fallen. Ein kurzer Blick zur Uhr, halb zehn. Johanna wartete bestimmt längst, machte sich wahrscheinlich Sorgen. Sie war an und für sich kein ängstlicher Typ, doch ihrer Meinung nach sollte man sich nach Einbruch der Dunkelheit in Frankfurt nicht mehr allein auf die Straße wagen.
Sie kam zurück. Sie war barfuß, sie trug einen schwarzen, seidenen Morgenmantel mit goldglänzenden chinesischen Motiven, Drachen und Schlangen und allen möglichen Schriftzeichen. Sie hielt die Flasche und die Gläser in Händen, reichte ihm eines, schenkte ein. Er richtete sich auf, nahm es und trank aus, als wäre er gewohnt, jeden Tag Cognac zu trinken.
»Möchten Sie in die Wanne?« fragte sie. Er versuchte zu lächeln, es mißlang, selbst das Laszive, Auffordernde in ihrer Stimme beruhigte ihn nicht.
»Muß es wirklich heute abend schon sein?«
»Heute abend oder nie.«
»Dann werde ich baden …«
»Gut, dann lassen Sie aber bitte die Tür angelehnt, ich werde nachkommen.« Dr. Vabochon, die Kettenraucherin, ging zum Nachtschrank, holte eine Zigarette aus der Schublade, die fünfte oder sechste in der letzten halben Stunde und zündete sie an, setzte sich aufs Bett, und als ihre Blicke sichtrafen, wölbte sie für einen Moment die jetzt voll wirkenden Lippen und fuhr sich mit der Zungenspitze über die Oberlippe. Er ging ins Bad, war sich bewußt, trotz der Schwerelosigkeit im Kopf, daß er im Begriff stand, sein gesamtes bisheriges Leben auf den Kopf zu stellen und die Ruhe und den Frieden – trotz der Schulden war es so! – gegen etwas Unbekanntes, gefährlich Unbekanntes einzutauschen.
Mit den Händen fuhr er sich durch sein stetig lichter werdendes Haar, er verlor sie beim Waschen, beim Kämmen, im Schlaf – der Tribut, den das Alter forderte. Auf einem Beistelltisch stand eine unangebrochene Flasche Giorgio Beverly Hills pour Homme. Hatte sie sie extra für ihn gekauft, in weiser Voraussicht, wie seine Entscheidung ausfallen würde? Er gab ein paar Spritzer in die Handfläche, verrieb den Duft auf der Haut. Ein letzter Blick in den Spiegel, er fand sich nicht einmal mehr gutaussehend. Weder muskulös noch durchtrainiert, dafür der Ansatz eines Bauches, zu dünne, schlaffe Arme. Warum er? Warum hatte sie ihn, ausgerechnet ihn, ausgesucht?
Das Wasser hatte genau die richtige Temperatur. Ein Meer von Rosen, cremiger Schaum. Er wusch sich schnell, strich mit einer Hand übers Kinn, der Bart war seit dem Morgen gewachsen, kratzige Stoppeln. Mit der Zunge überprüfte er die Zähne, zuletzt hatte er sie gestern abend geputzt. Noch hätte er sich anziehen, diese Lasterhöhle verlassen können, noch hätte er seine Träume … Doch er war nackt, und sie stand in der Tür.
Sie liebten sich, kurz und lieblos. Er hoffte, Johanna würde nie herausfinden, was er in Zukunft an drei Abenden in der Woche trieb. So verständnisvoll sie auch immer gewesen war, so sehr sie auch zu ihm gehalten hatte, so sehr sie ihn auch liebte, sie würde ihm nie verzeihen, für Geld – und wenn es alles Geld dieser Erde
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