Die Bankerin
Schatz«, sagte er und küßte sie nicht zur Begrüßung. Er wollte nicht, daß sie seine Fahne roch. Statt dessen ließ er sich stöhnend in den Sessel fallen, lockerte die Krawatte und löste den obersten Knopf des Hemdes. »Mann, war das ein anstrengender Abend! Aber er hat sich wenigstens gelohnt.«
Aus den Augenwinkeln verfolgte er ihre Reaktion, brachte es nicht fertig, ihr direkt in die Augen zu sehen. Johanna wölbte die Stirn, die Neugier siegte. »Schatz«, begann er wieder – wie konnte er sie jetzt nur Schatz nennen?! – und versuchte zu strahlen wie ein Kind vor einem bunt glitzernden Weihnachtsbaum, »halt dich fest! Wir werden alle unsere Schulden los! Die Bank ist doch nicht ganz so übel, wie ich immer gedacht habe. Sie haben mir einen Vorschlag gemacht und … na ja … ich habe eingewilligt. Na, was ist, möchtest du ihn hören?«
»Jetzt übertreib nicht!«
»Sie haben mir einen Job angeboten! Stell dir vor, ich soll schon ab morgen dreimal in der Woche so ’ne Art Kontrollgänge durch die Filialen und Grundstücke machen. Ich arbeite von acht Uhr abends bis Mitternacht. Dafür zahlen sie achtzehnhundert Mark im Monat! Na, was sagst du?«
»Du willst neben deiner Arbeit noch bis spät in die Nacht …?! Das schaffst du nie!« sagte sie und nahm eine Handvoll Chips aus der Tüte.
»Ach, du immer mit deinem Pessimismus! Kannst du nicht einmal eine Sache positiv sehen?! Das Ganze dauert maximal vier Jahre, und wenn die vier Jahre rum sind, haben wir keine Schulden mehr! Wir können dann mit unserem Geld wieder tun und lassen, was wir wollen! Als ob mich die Arbeit umbringen würde! Wir werden unsere Schulden los, und das allein zählt. Nur vier Jahre, vielleicht sogar weniger, und wir sind aus allem Schlamassel raus. Und dann, das schwöre ich dir, nie, nie, nie wieder auch nur einen Pfennig Schulden! Im Gegenteil, wir werden noch einmal von vorne beginnen. Wir werden es allen zeigen, die meinen, wer einmal so tief gestürzt ist, kann unmöglich wieder nach oben kommen. Vielleicht schaffe ich es sogar, wieder in meinem alten Beruf Fuß zu fassen.«
»Ich bin nicht pessimistisch, ich bin nur vorsichtig. Im letzten Jahr ist schon viel zuviel schiefgegangen. Und ich weiß nicht«, sagte sie zweifelnd, »auf den ersten Blick hört sich das ja ganz schön und gut an, aber ist da auch bestimmt kein Haken an der Sache?«
»Ich werd noch wahnsinnig mit dir! Die können es sich doch nicht leisten, mich übern Tisch zu ziehen. Jetzt komm und mach ein fröhliches Gesicht und freu dich mit mir. Aber gut, wenn du zweifeln willst und nicht dran glaubst, dann kann das ja auch nichts werden. Dann lassen wir’s eben!« tat er beleidigt. »Vier Jahre lang dreimal in der Woche? Ich weiß nicht, wie du das durchhalten willst …«
»Wenn ich merke, daß es zuviel wird, höre ich einfach auf. Aber ich werde durchhalten. Ich tu’s ja für uns. Für dich und vor allem für die Kinder. Sie sollen eines Tages nicht sagen müssen, ihr Vater wäre ein Versager.«
»Bitte, probier’s … Wieso hat es aber heute abend so lange gedauert? Du stinkst nach Qualm und …« Sie kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. »Du hast getrunken, stimmt’s? Hast du?«
»Jetzt hab dich nicht so, sie haben mir einen Cognac angeboten, und ich wollte nicht unhöflich erscheinen. Sie waren sehr freundlich zu mir. Es wird nicht wieder vorkommen. Großes Ehrenwort!« sagte er und streckte die rechte Hand zum Schwur in die Höhe, wissend, daß er einen Meineid schwor.
Sie seufzte auf, nahm noch ein paar Chips in die Hand und steckte einen in den Mund. Während sie kaute, sagte sie: »Ich möchte nicht, daß du trinkst. So, und jetzt komm, gehen wir ins Bett. Morgen wird ein harter Tag für dich.« Sie wischte die Krümel von ihrem Nachthemd und stand auf. Er sah ihr nach, wie sie aus dem Zimmer ging. Sie hatte im letzten Jahr über zehn Kilo zugenommen, erste Krampfadern durchzogen wie langgestreckte Gebirgszüge ihre Waden, sie stand viel und lange in der Küche, nicht einmal zum Bügeln setzte sie sich. Ihre früher so grazilen Hände waren gezeichnet von Spülwasser, Wäschewaschen, -bügeln und -aufhängen, Putzen, und das einst Leichte und Schwebende ihrer Jugend hatte sich innerhalb weniger Monate in müde Schwerfälligkeit gewandelt. Ein paar tiefe Täler hatten sich in die Mundwinkel gegraben, Sorgenfalten. Und womöglich kamen bald noch welche dazu.
Er schloß kurz die Augen, der Alkohol und der kräftezehrende
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