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Die Bankerin

Die Bankerin

Titel: Die Bankerin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Franz
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Rommé, unterhielten sich, tranken. Sprachen über Dinge, über die er sich mit Johanna nie hätte unterhalten können, Malerei, Schriftstellerei, Philosophie. Diesmal aber war es anders gewesen. Er erzählte von dem Wochenende.
    »Mein ehemaliger Buchhalter Dr. Meyer ist in Frankfurt umgebracht worden, und zwar auf eine ziemlich bestialische Art. Er lag nackt auf dem Boden, die Kehle durchgeschnitten, eine Hand abgehackt und in die Mitte des Bettes gelegt. Und am Samstag kam ein Päckchen mit einem wundervollen Inhalt – einer toten Lanzenotter, wenn Sie wissen, was das ist.«
    »Wie schrecklich. Weiß man schon, wer diesen Meyer auf dem Gewissen hat und was er überhaupt hier in Frankfurt wollte? Und das mit der Schlange kapiere ich noch weniger. Haben Sie Feinde?«
    »Keine Ahnung. Meyer kam aus Paraguay, aber was er hier wollte, ist der Polizei bislang ein Rätsel. Aber er ist bestimmt nicht ohne Grund nach Frankfurt zurückgekehrt.«
    »Nein, vermutlich nicht. Ist ja auch egal, damit ist ein Teil der Schuld getilgt, sehen Sie es einfach so. Aber kommen Sie, reden wir von etwas anderem, Angenehmerem.«
    Und wenn er ihr auch schon viel über sich erzählt hatte, so wußte er von ihr bislang fast gar nichts. Nicht, wo sie herkam, ob ihre Eltern noch lebten und wo sie lebten, wie sie ihre Jugend verbracht hatte, wie sie sich ihre Zukunft vorstellte. Alles, was er wußte, war, daß sie eine Menge über ihn wußte. Das störte ihn, genau wie ihr immer wieder aufflammender Spott, ihre Provokationen, ihr Befehlston. Nur wenn er mit ihr schlief, wenn sie ihm befahl, mit ihr zu schlafen, dann war es anders. Wenn ihre grazilen Finger ihn berührten und streichelten, ihr Lippenstiftmund ihn küßte, wenn sie heiß und verlangend war, dann vergaß er alles um sich. Dann vergaß er sogar, daß er eigentlich bloß eine Hure war, eine billige, verfluchte Hure, die ihren Körper verkaufte, um frei zu werden.
    Doch sonntags, in der Kirche, kam das Gewissen aus seinem Schlupfwinkel hervorgekrochen. Mit penetranter Regelmäßigkeit plagte ihn jener tief im Verborgenen sitzende, unsichtbare Teil seiner selbst. Eine Warnglocke, die mal lauterund mal leiser anschlug. Immer sonntags (verdammter Sonntag, verdammte Kirche!) erkannte er, daß er nicht nur gegen die Regeln der Kirche und gegen die Gebote Gottes verstieß, vor allem verstieß er gegen die Regeln gesunden menschlichen Moralempfindens. Ein Ausbruch aus der Normalität. Hätten die anderen (all jene bigotten Damen und Herren seiner Gemeinde!) je herausbekommen, was er trieb – mit Schimpf und Schande hätten sie ihn aus ihrer Gemeinschaft ausgestoßen. Im Mittelalter hätten sie ihn geteert und gefedert und an den Pranger gestellt, bespuckt und verhöhnt, vielleicht sogar auf den Scheiterhaufen geworfen oder gevierteilt oder gerädert, ein Volksfest aus seiner Hinrichtung gemacht, mit Marktschreiern und Gauklern, für die eine Exekution ein gutes Geschäft bedeutete und die dem einfachen Volk zu einer Abwechslung im bitteren, harten Lebenskampf verhalf. Heute würden sie höchstens noch mit Fingern auf ihn zeigen, all jene fetten, aufgeblasenen Heuchler, die vorgaben, an Gott zu glauben! Die logen und betrogen und heimlich Ehebruch begingen und unehrlich waren! Nun, nicht alle waren bigott, nicht alle heuchelten, aber einige. Viele waren treue und demütige Geister, die im stillen ihre guten Werke verrichteten, ohne je einen weltlichen Lohn dafür zu empfangen. Die Kranke besuchten, sich um Alte kümmerten. Die Gott dienten, indem sie den Menschen dienten. Die nicht unehrlich waren, nicht die Ehe brachen, nicht ihre Seele durch begehrliche Gedanken verunreinigten. Johanna zählte dazu. Sie half, wenn ihre Hilfe gefragt war, sie betreute Alte, sie hütete Kinder, sie sorgte sich einfach nur, ohne auch nur ein Danke dafür zu erwarten. Ein ganzes Jahr lang hatte sie eine alte Schwester gepflegt, ihr die letzten Tage so angenehm wie nur möglich zu gestalten versucht, war jeden Tag für zwei oder drei Stunden zu ihr gefahren, hatte sie gewaschen und saubergemacht, ihr die Stirn gekühlt und Geschichten vorgelesen, Einkäufe erledigt und schließlich in der letzten Stunde ihre Hand gehalten.Wenn es einen Gott gab, dann mußte er Johanna an seine Seite setzen, wenn sie eines Tages diese Welt verließ.
    Er fühlte sich nicht mehr so wohl in der Gemeinde wie früher. Schuldgefühle. In ihm kämpften Gut und Böse, Dr. Jekyll und Mr. Hyde, Gott und Satan. Und wer siegte? Er wußte

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