Die Bankerin
getrunken, ihr Haar war fettig und ungekämmt, es stank in der Wohnung. Der Fernsehapparat lief gleichzeitig mit der Stereoanlage. Er hatte die Wohnung noch nie in einemderartigen Zustand gesehen, überall verstreut Zeitschriften und Bücher, Schallplatten und CDs, ungespülte Teller und Tassen und Gläser, zwei überquellende Aschenbecher, Asche auf dem Tisch, auf dem Teppich, auf der Couch und den Sesseln, als wäre eine wilde Orgie mit wilden Gesellen gefeiert worden. Die Balkontür war geschlossen, abgestandener, heißer Mief hing wie eine schwere Glocke in der Wohnung.
»Was ist los mit dir?« fragte David.
»Was soll los sein?«
»Warst du heute nicht arbeiten?«
»Kann dir doch egal sein. Trink was und sei still!«
»Warum hast du mich gestern abend angerufen? Du bringst mich dadurch in Schwierigkeiten.«
»Deine Schwierigkeiten, Schlappschwanz, sind nicht meine Schwierigkeiten. So, und jetzt räum auf! Ich bin im Bad. Anderthalb Stunden müßten eigentlich reichen, oder?«
»Wo warst du?« fragte David und stand auf. Sie sah jetzt nicht anders aus als eine gewöhnliche, billige Schlampe, ungepflegt, schmierig, fettig, unappetitlich. Das Laszive war nur noch ordinär, die unterste Stufe der Gewöhnlichkeit. Im Moment fläzte sie sich auf der Couch, der Hausanzug von Flecken übersät, leicht geöffnet, eine Brust lag frei.
»Was soll die Frage? Ich hatte viel zu tun und keine Zeit. Und du wirst dafür bezahlt, mir einen Teil meiner Arbeit abzunehmen. Du kannst dir selbstverständlich zur Stärkung was zu trinken nehmen.«
»Ich meine, wo warst du am Montag? Ich habe geschlagene zwei Stunden gewartet …«
»Und wenn du vier Stunden wartest, du hast immer zur abgemachten Zeit hier zu sein!« sagte sie kalt. »Und jetzt fang an, du hast nicht den ganzen Abend Zeit.«
Nach einer Stunde hatte David die Spülmaschine gefüllt und angestellt, die Küche aufgeräumt und gewischt und das Wohnzimmer in einen vorzeigemäßigen Zustand gebracht,die Balkontür und ein Fenster geöffnet. Nicole war noch im Bad. David trank seinen zweiten Whisky, das Glas fast dreiviertelvoll, ohne Eis, ohne Soda, pur und in einem Zug. Er hatte sich daran gewöhnt. Als sie aus dem Bad kam, trug sie den schwarzen Seidenmantel mit der chinesischen Stickerei, den sie auch am allerersten Abend getragen hatte, sie war barfuß und unter dem Mantel nackt, er sah es an ihren wippenden Brüsten und den sich unter dem Stoff abzeichnenden Warzen. Sie rauchte. Setzte sich auf ihren angestammten Platz, eine Flasche Nagellackentferner und Watte und ein Fläschchen Nagellack stellte sie auf den Tisch. Sie legte die Zigarette auf den Aschenbecherrand. Sie begann wortlos mit der Prozedur, entfernte zuerst den Lack von ihren Fingernägeln, dann von ihren Fußnägeln. Der beißende Geruch von Aceton breitete sich aus, ab und an nahm Nicole einen Zug von ihrer Zigarette. Eine gespannte, unbehagliche Atmosphäre erfüllte den Raum.
Um Viertel vor zehn, nach weiteren schweigsamen Minuten, klingelte es. Nicole blickte auf, erhob sich und ging zur Tür, betätigte den Knopf der Sprechanlage und fragte, wer da sei. Doch statt einer Antwort klopfte es. Nicole öffnete die Tür einen Spalt. David hatte sich umgedreht und blickte in ihre Richtung.
»Du?« fragte Nicole entsetzt und löste die Sicherheitskette, dann gab sie die Tür frei.
»Ja, genau ich«, sagte eine noch junge, weibliche Stimme, und der dazugehörige Körper trat ein. »Überrascht, mich zu sehen?«
»Was willst du hier? Warum bist du nicht bei deinem Vater?«
»Eine lange Geschichte, die ich dir irgendwann erzählen werde, aber nicht heute. Ich bin hungrig und müde.«
David schätzte die junge Frau auf neunzehn, vielleicht auch zwanzig Jahre.
»Wer ist das?« fragte sie und deutete mit dem Kopf in Davids Richtung.
»Ein Bekannter. Er heißt David. David, das ist Esther, meine Tochter.«
»Angenehm«, sagte David, der seine Überraschung verbarg und sich erhob. Die junge Frau war eine winzige Spur kleiner als er. In der einen Hand hielt sie einen großen, mit Schottenmuster karierten Koffer und in der anderen eine ebenso gemusterte prallgefüllte Reisetasche, beides ließ sie einfach auf den Boden fallen. David reichte ihr die Hand, ihre fühlte sich weich und zart an, noch weicher, noch zarter als die ihrer Mutter. Dieses Mädchen, diese nie zuvor erwähnte Tochter, war ein Geschöpf von geradezu makelloser Schönheit, kein Puppengesicht, weiß Gott nicht, mit leicht
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