Die Bankerin
tief Luft. »Also gut, aber nicht mehr als zehn Minuten. Komm mit in mein Büro.«
Er legte einen Aktenordner auf den Schreibtisch seiner Sekretärin, bat sie, den geänderten Text in den Computer einzugeben. Dann betraten sie Holbeins geräumiges, hypermodern eingerichtetes Büro, er begab sich hinter seinen Schreibtisch, deutete auf den Stuhl ihm gegenüber. David setzte sich.
»Also, schieß los, was gibt’s so Dringendes?«
»Es sind vorhin ein paar Pakete mit Handbüchern gekommen. Und als ich einen Blick in eines dieser Bücher warf, traf mich fast der Schlag. Du kannst dir denken, wovon ich spreche?« David beobachtete genau die Reaktion von Holbein, der, ohne aufzuschauen, einen Kugelschreiber zwischen seinen Fingern drehte und sagte: »Ich denke, ich weiß, worauf du hinauswillst. Und?« sagte er schulterzuckend.
»Was ist so schlimm daran?«
»Warum hast du mir verheimlicht, daß du die Softwarerechte an meinen Produkten aufgekauft hast? Hättest du es mir ehrlicherweise nicht wenigstens sagen können?«
»Was hätte es gebracht? Du kannst froh sein, daß ich sie habe. Ein anderer hätte dich vermutlich nicht eingestellt. Ich habe dir einen Job gegeben, weil wir früher einmal Freunde waren.«
David lachte auf. »Komm, es war mein Unternehmen, und du hast mich – ›großzügigerweise‹ – in der Poststelle untergebracht. Du weißt, daß ich mehr kann, als nur Briefe und Pakete zu sortieren. Aber ich sag dir, was los ist – du hast Angst, ich könnte immer noch besser sein als du!«
»Und wer hat sich bei der Bank für dich eingesetzt?« fragte Holbein ungerührt.
»Ach komm, vielleicht hast du ja doch so was wie ein schlechtes Gewissen, aber erzähl mir nicht, du hättest es aus alter Freundschaft getan. Dazu kenne ich dich zu gut.«
»Und was willst du jetzt? Kündigen?«
David schüttelte den Kopf. »Nein, ganz sicher nicht, du weißt genau, wie dringend ich das Geld brauche.«
»Gut. Ich werde dein Gehalt um fünfhundert Mark erhöhen, wenn dir das hilft. Ich weiß, du sitzt ziemlich tief im Dreck, aber mehr kann ich für dich nicht tun. Dein altes Programm M ARQWORD ist im Verlauf des letzten Jahres von den besten Leuten auf Vordermann gebracht worden. Du solltest sehen, was es jetzt alles leistet! Es ist das beste Programm auf dem Markt.«
»Es war das beste Programm.«
»Ganz genau – war, aber die Zeit ist so schnellebig, man muß sich ständig etwas Neues einfallen lassen – und der Konkurrenz eine Nasenlänge voraus sein. Und das sind wir mit C OMWORD . Es wird einschlagen wie eine Bombe, das garantiere ich dir. Tut mir leid, daß du auf diese Weise erfahren mußtest, daß ich die Rechte gekauft habe. Es war vielleicht wirklich nicht ganz fair, aber …«
»Ach, vergiß deine Entschuldigungen, ich bin einfach nur enttäuscht. Wir waren einmal Freunde, aber die Betonung liegt auf
waren!
« David erhob sich ruckartig, stützte sich mit beiden Händen auf der Schreibtischplatte ab, sah Holbein an und sagte zynisch: »Aber danke für die Gehaltserhöhung. Damit kann ich meinen Kindern vielleicht ein paar neue Klamotten kaufen.«
Er drehte sich abrupt um und verließ das Büro. In ihm kochte es, er stellte sich vor, wie Holbein jetzt die Millionen kassierte, die eigentlich ihm gehörten, wäre er von Meyer und Neubert nicht so aufs Kreuz gelegt worden. Auch die M ARQUARDT G MB H hätte das Programm verbessert, vielleicht sogar noch weiter, als es die P RO C OM getan hatte. Er ballte die Fäuste, schrie innerlich auf. Holbein, ausgerechnet Holbein! Verdammtes Schwein, verdammtes, elendes, stinkendes Schwein! dachte er, während er in seine Poststelle ging und sich einen Kaffee einschenkte. Aber vielleicht würde eines Tages der Zeitpunkt kommen, an dem er es Holbein heimzahlen konnte. Vielleicht.
Er telefonierte kurz mit Johanna, um ihr von dem Vorfall zu berichten, die ihr Entsetzen und ihre Wut kaum im Zaum halten konnte. Danach ging er zum Mittagessen über die Straße in einen Imbiß, aß eine Currywurst mit Pommes frites und schüttete einen großen Flachmann Chantré in sich hinein, um seine gereizten Nerven zu beruhigen, spazierte für eine halbe Stunde durch die mittägliche Hitze der Stadt an den Auslagen der Kaufhäuser vorbei, doch seine Gedanken vermochte er nicht zu bändigen.
Als er am Abend nach Hause kam, steckte Johanna bereits in den ersten Reisevorbereitungen. Sie hatte zwei Koffer und die Reisetasche vom Schlafzimmerschrank geholt und sie zum Lüften auf den
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