Die Bedrohung
Plötzlich ging die Tür auf, und in seiner knienden Position wurde Ashani mit einem Anblick konfrontiert, der ihn völlig verwirrte. Nachdem er sich den ganzen Vormittag unter der Erde aufgehalten hatte, war das Letzte, was er erwartet hatte, den blauen Himmel zu sehen. Sie hatten immer angenommen, dass die Amerikaner oder die Juden in der Nacht angreifen würden. Im Laufe der Explosionen hatte er völlig das Zeitgefühl verloren. Außerdem dämmerte es ihm, dass noch etwas nicht stimmte. Egal ob Tag oder Nacht, er hätte auf jeden Fall nicht den Himmel sehen sollen. Nein, über ihnen hätte die Decke des Erdgeschosses sein müssen.
Mukhtar schob Farahani von sich weg, zur offenen Aufzugtür hinüber. Ashani stand auf und machte einen zögernden Schritt nach vorn. Sein Verstand sagte ihm noch immer, dass irgendetwas nicht stimmte. Er musste wieder an dieses schreckliche kreischende Geräusch denken. Wie ein Nebel, der vom Meer hereinzog, stieg eine Staubwolke von unten herauf und verdunkelte alles, was draußen vor der Aufzugtür war. In Ashanis Gehirn begannen die Alarmglocken zu schrillen, als ihm klar wurde, was hier vorging. Er hatte das kreischende Geräusch schon einmal vor vielen Jahren gehört, als er an einem heimlichen Angriff auf eine irakische Ölplattform teilgenommen hatte. Es war das Geräusch von berstendem Stahl.
Farahani lief aus dem Aufzug und fiel wie ein Stein. Sein Schrei hallte von unten herauf. Mukhtar war direkt hinter ihm. Was Ashani in diesem Augenblick tat, war mehr ein Reflex als eine bewusste Handlung. Sein Arm schoss nach vorne und packte Mukhtar am Hemd. Der gefürchtete Terrorist hing einen Moment lang am Rande des Abgrunds, einen Fuß auf dem sicheren Boden des Aufzugs, den anderen in der Luft, auf dem Weg in den sicheren Tod. Langsam zog Ashani den Mann in den Aufzug zurück. Fast augenblicklich wurde ihm bewusst, dass er eine günstige Gelegenheit verpasst hatte. Und wenn Ashani auch nur geahnt hätte, welche Probleme ihm Mukhtar in den folgenden Wochen noch bereiten würde, dann hätte er ihn wahrscheinlich eigenhändig in die Tiefe gestoßen.
9 ATLANTA, GEORGIA
Rapp sah aus dem Fenster der Gulfstream 5, als das Fahrgestell ausgefahren wurde und einrastete. Maria Rivera nahm seine Hand, was er als gutes Zeichen betrachtete, wenn man bedachte, dass sie fast den ganzen Vormittag kein Wort gesprochen hatte. Rapp wusste, dass Beziehungsangelegenheiten nicht gerade seine starke Seite waren. Er war überzeugt, dass ein Psychiater im Gespräch mit ihm höchstens fünf Minuten brauchen würde, um seine Probleme zu erkennen. Vielleicht nicht einmal so lange. Sein Vater war an einem Herzinfarkt gestorben, als Mitch noch ein Junge war, seine High-School-Liebe war bei dem durch einen Terroranschlag ausgelösten Flugzeugabsturz über Lockerbie ums Leben gekommen und seine Frau war erst vor zwei Jahren ermordet worden. Dazu kam, dass er ein grundsätzliches Problem damit hatte, anderen zu vertrauen, sodass er alles in allem wohl eher für das Junggesellenleben geschaffen war. Als Realist hätte sich Rapp eigentlich mit der Tatsache trösten sollen, dass er allein besser dran war. Doch das konnte er nicht. Statt eines erfüllten Lebens zu zweit war da nichts als gähnende Leere. Er hatte die Einsamkeit satt. Nicht unbedingt seine Arbeit. Die machte er immer noch mit der gleichen Leidenschaft. Es lag mehr daran, wie sich sein Job auf sein ganzes Leben auswirkte.
Maria Rivera gab ihm jedoch etwas Hoffnung. Gewiss, ihr südländisches Temperament konnte sich an den unwichtigsten Dingen entzünden, doch wenn es darauf ankam, bewies sie ein gutes Augenmaß, und was noch wichtiger war, sie hatte Pflichtgefühl und Opferbereitschaft. Das war etwas, das Anna nie verstanden hatte. Seine Frau hatte zwar behauptet, zu wissen, warum er all das tat, doch sie war nie ganz auf seiner Seite gewesen. Wie hätte sie es auch sein sollen? Sie war Journalistin, und er war CIA-Geheimagent für Spezialoperationen. Sie war davon überzeugt, dass die Medien das Recht hatten, alles zu wissen, was die Regierung und die Behörden taten. Er wiederum war der festen Überzeugung, dass es gewisse Dinge gab, die eine zivilisierte Gesellschaft besser nicht wusste. Hätten sie vor ihrer Heirat einen Ehetest gemacht, so wäre das Ergebnis niederschmetternd ausgefallen. Aber auch das hätte sie nicht abhalten können. Sie waren schrecklich verliebt, und es verging kein Tag, an dem er sich nicht danach sehnte, sie wieder in
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