Die Bedrohung
es zugelassen, dass uns diese engstirnigen alten Männer unsere Revolution gestohlen haben, und wir mussten einen hohen Preis dafür zahlen. Viele unserer Landsleute sind tot, weil wir nicht früher gehandelt haben. Jetzt aber ist es Zeit für eine zweite Revolution. Es ist Zeit, die Fesseln der Unterdrückung abzustreifen, die uns die radikalen Geistlichen und ihr Marionettendiktator angelegt haben. Die Zerstörung der Anlage von Isfahan soll den Anfang vom Ende für diese Tyrannen bedeuten, und den Beginn des Kampfes für einen wahrhaft islamischen und demokratischen Iran.«
28 TEHERAN, IRAN
Die Worte von Außenministerin Wicka wurden mit großem Unbehagen aufgenommen. Sogar Ashani, der sich selbst für viel unvoreingenommener hielt als die anderen Anwesenden in Amatullahs Büro, lauschte mit dem tief verwurzelten Vorbehalt, dass man bei den Vereinten Nationen nur selten die Wahrheit zu hören bekam. Wickas erste Bemerkung war jedoch durchaus zutreffend. Jedes Mal, wenn Amatullah ein Problem mit dem Volk oder dem Obersten Führer hatte, lief er geradewegs zum nächsten Mikrofon und hielt eine Rede, in der er sich über die bösen Absichten der USA beklagte. Um das Ganze abzurunden, drohte er auch noch mit der baldigen Auslöschung Israels. Seine Propaganda diente stets dem Zweck, von einem Problem abzulenken.
Die Satellitenfotos, die die Zerstörung der Anlage von Isfahan zeigten, wurden mit spöttischen Bemerkungen aufgenommen, doch Ashani betrachtete sie mit wachsendem Interesse. Aufmerksam hörte er zu, wie die Frau die Fakten darlegte. Fakten, die mit seinem eigenen Verdacht übereinstimmten. Das erste Anzeichen, dass Wicka etwas Wesentliches zu sagen hatte, kam, als sie die verschiedenen Widerstandsgruppen im Iran aufzählte. Ashanis mathematischer Verstand eilte ein paar Schritte voraus, und er erkannte blitzschnell, worauf Wicka mit der Erwähnung der Gruppen hinauswollte. Fast hätte er etwas zu Amatullah gesagt. Ein kurzer Anruf im Kommunikationsministerium hätte die Übertragung sofort beenden können, doch seit dem Angriff hatte sich bei Ashani etwas verändert. Seine gewohnte Nachsicht mit dem selbstgefälligen Auftreten des Präsidenten war verflogen. Es war, als wolle etwas in ihm Amatullah leiden sehen, und so saß er still da und sagte nichts.
Als Wicka das Video der Mudschaheddin-e-Khalq ankündigte, änderte sich die Stimmung in Amatullahs Büro schlagartig. Die spöttischen Gesichter verfinsterten sich, und es wurde still im Raum. Ashani sah, wie Amatullah sich vorbeugte und aufmerksam zuhörte.
»Was ist das wieder für ein Trick?«, fragte der iranische Präsident.
Ashani lauschte den ersten Worten des MEK-Sprechers mit mäßigem Interesse. Er wusste nur zu gut, dass Terrorgruppen gern die Verantwortung für die Drecksarbeit übernahmen, die in Wahrheit andere gemacht hatten; schließlich hatte er früher selbst mitgeholfen, solche Erklärungen zu verfassen. Viele Operationen der Hisbollah waren zu umstritten, als dass sie sich selbst dazu bekennen konnte, deshalb überließ man es oft irgendeiner Splittergruppe, sich den Ruhm für eine Tat an ihre Fahne zu heften. Die MEK war jedoch keine Splittergruppe. Ihr Einfluss sowie die Zahl ihrer Mitglieder hatte in den nördlichen Provinzen stark zugenommen. So stark, dass die Regierungseinheiten stets Angst haben mussten, angegriffen zu werden.
Die Worte, die da aus dem Fernseher kamen, waren zweifellos das Aufrührerischste, was seit 1979 in der iranischen Öffentlichkeit zu hören war. Ashani hoffte und fürchtete zugleich, dass die Botschaft etwas bei den Menschen im Land auslösen würde. Seine Furcht kam von dem Wissen, dass Revolutionen stets eine hässliche Sache waren, bei der es jede Menge unschuldige Opfer gab. Dass er auf eine tiefgreifende Veränderung hoffte, hatte mit seinen Töchtern zu tun. Wenn sie nur in einem Iran leben könnten, der nicht mehr in der Gewalt dieser fanatischen chauvinistischen Hardliner war. Doch er verspürte auch noch eine dritte Gefühlsregung – es amüsierte ihn, Amatullahs Reaktion zu beobachten.
Nach den ersten Sätzen, die der Mann im Fernsehen gesprochen hatte, sprang Amatullah auf und eilte an seinen Schreibtisch. Er schnappte sich das Telefon und drückte eine Taste. Ashani konnte nicht sehen, welche Nummer gewählt wurde, doch er musste es auch gar nicht sehen. Er wusste auch so, wen Amatullah anrief: das Kommunikationsministerium. Die staatliche Fernsehanstalt hatte die Anweisung bekommen,
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