Die Begierde: Fallen Angels 4 (German Edition)
deren leblose Arme an ihre Seiten gedrückt wurden, bevor ein Reißverschluss sie unter schwarzem Plastik verbarg.
Mels drehte sich wieder dem Zimmer zu. »Mir tut ihr Vater so leid.«
»Kennen Sie ihn?«
»Nein, aber ich kann mir sein Leid gut vorstellen.« Es konnte natürlich auch sein, dass sie dem Kerl scheißegal gewesen und unter anderem deshalb in dieses Leben gerutscht war. »Ich meine ja nur … sie war auch mal ein Baby. Zu irgendeiner Zeit muss Unschuld in ihr gewesen sein.«
»Das möchte man hoffen.«
Aus Neugier musterte sie ihn erneut. »Wohnen Sie hier im Motel?«
»Ich bin nur zufällig da.« Der Mann seufzte merkwürdig resigniert. »Mann, ich hasse den Tod.«
In diesem Augenblick musste Mels aus irgendeinem Grund an ihren Vater denken. Auch er war vom Unfallort in einem schwarzen Sack entfernt worden – nachdem die Feuerwehr ihn aus dem Auto geschnitten hatte.
War er im Himmel? Blickte er auf sie alle herab? Oder hieß Sterben wirklich schlicht und einfach, dass das Licht ausging? Wie bei einem Auto, dessen Motor man abstellte, oder einem Staubsauger, dessen Stecker gezogen wurde?
Für unbelebte Gegenstände gab es kein Jenseits. Warum also glaubten Menschen, dass ihr Schicksal ein anderes war?
»Weil es anders ist.«
Mit einem verlegenen Lächeln sah sie sich über die Schulter. »Ich wollte gar nicht laut denken.«
»Macht überhaupt nichts.« Auch der Mann lächelte ansatzweise. »Und es ist alles andere als blöd zu hoffen, dass Verstorbene Frieden gefunden haben, oder an etwas zu glauben. Es ist sogar gut.«
Mels konzentrierte sich wieder auf das Hotelzimmer und dachte, wie seltsam es war, dieses offene Gespräch mit einem Wildfremden zu führen. »Ich wünschte nur, ich könnte mir sicher sein.«
»Schon, aber Sie sind ja Reporterin. Sie würden das Geheimnis verraten.«
Sie musste lachen. »Als wäre die Existenz von Himmel und Hölle eine vertrauliche Information.«
»Aber das ist sie. Menschen brauchen zwei Dinge, um eine echte Bindung aufzubauen: Entbehrung und das Unbekannte. Wenn Nahestehende oder Geliebte auf ewig da wären, würde man sie für selbstverständlich halten, und wenn man sicher wüsste, dass man später wieder vereint wird, dann würde man sie nicht vermissen. Es ist alles Teil des göttlichen Plans.«
Also war er ein religiöser Spinner. »Ach so ist das.«
Sie traten zurück, als die Beamten die Nylongriffe des Leichensacks packten und das Opfer aus dem Zimmer trugen. Während die finstere Prozession an ihr vorbeizog, dämmerte Mels, warum Dick ihr diesen Auftrag übertragen hatte. Tote junge Frau, grausiger Schauplatz, die gefährlichen Straßen von Caldwell, bla, bla, bla. Er war genau die Art von Arschloch, die sich rächte, weil sie ihn mal wieder hatte abblitzen lassen.
Und ja, sie war wirklich erschüttert, wie es jeder mit einem Gewissen wäre. Aber sie würde trotzdem ihre Arbeit erledigen.
Sie lehnte sich in den Türrahmen und sprach den Verantwortlichen an. »Detective de la Cruz? Möchten Sie vielleicht eine Stellungnahme abgeben?«
Der Kriminalbeamte blickte von seinem altmodischen Columbo-Block auf. »Sind Sie immer noch hier, Carmichael?«
»Natürlich.«
»Ihr Vater wäre stolz auf Sie, das wissen Sie.«
»Danke.«
De la Cruz kam zu ihr, würdigte den großen Mann neben ihr aber keines Blickes. Das war typisch für ihn, er ließ sich von praktisch nichts aus der Ruhe bringen. »Ich habe noch nichts zu sagen. Tut mir leid.«
»Keine Verdächtigen?«
»Kein Kommentar.« Er drückte ihre Schulter. »Grüßen Sie bitte Ihre Mutter von mir, ja?«
»Was ist mit der Haarfarbe?«
Er winkte ihr lediglich über die Schulter hinweg zu und ging weiter, stieg in einen dunkelgrauen Crown Victoria und fuhr vom Parkplatz.
Als der letzte Polizist die Zimmertür abschloss und das Siegel aufklebte, drehte sie sich zu dem Mann hinter sich um …
Er war fort, als hätte er nie dagestanden.
Seltsam.
Auf dem Rückweg zu Tonys Auto hätte sie schwören können, dass sie immer noch verfolgt wurde, aber es war niemand auch nur in der Nähe. Doch das Gefühl hielt an, als sie losfuhr, sodass sie schon überlegte, ob Paranoia ein Virus war, mit dem man sich anstecken konnte.
Matthias war eindeutig nervös, aber er hatte ja möglicherweise einen Grund dafür.
Sie jedoch bestimmt nicht.
Mels nahm den kürzesten Weg nach Hause, nämlich den durch die Stadt, doch als sie am Friedhof vorbeikam, beschloss sie, einen kleinen Umweg zu fahren.
Das Haus,
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