Die Begnadigung
gelegenen Café, aber nicht exzessiv.«
»Wir sollten versuchen, seinen Konsum zu steigern. Mal sehen, ob das seine Zunge lockert.«
»Das ist unser Plan.«
»Wie sicher ist Backman?«
»Es wird alles abgehört – Telefon, Zimmer, Sprachunterricht, Mahlzeiten mittags und abends. Selbst seine Schuhe sind verwanzt. Beide Paare. In sein Mantelfutter ist ein hoch empfindlicher Miniaturpeilsender eingenäht. Wir können ihn überall orten.«
»Sie können ihn also nicht verlieren?«
»Er ist Rechtsanwalt, kein Geheimdienstler. Bislang scheint er seine Freiheit zu genießen und tut, was man ihm sagt.«
»Aber er ist nicht dumm. Vergessen Sie das nicht, Julia. Backman weiß genau, dass es ein paar ziemlich üble Typen gibt, die alles daransetzen, ihn aufzuspüren.«
»Das stimmt, aber bis jetzt ist er mehr wie ein Kleinkind, das sich an die Mutter klammert.«
»Er fühlt sich also sicher?«
»Unter den gegebenen Umständen, ja.«
»Dann sollten wir ihm einen Schrecken einjagen.«
»Jetzt?«
»Ja.« Maynard rieb sich die Augen und trank einen Schluck Tee. »Was ist mit seinem Sohn?«
»Überwachungsstufe drei, ist nicht viel los in Culpeper, Virginia. Wenn Backman zu jemandem Kontakt aufnimmt, dann zu Neal. Aber das wissen wir dann schon in Italien, lange bevor wir es in Culpeper erfahren.«
»Sein Sohn ist der einzige Mensch, dem er vertraut«, meinte Maynard und wiederholte damit nur, was Julia schon viele Male gesagt hatte.
»Das ist wahr.«
Er machte eine lange Pause. »Gibt’s noch etwas, Julia?«, sagte er dann.
»Er schreibt einen Brief an seine Mutter in Oakland.«
Über Maynards Gesicht huschte ein Lächeln. »Wie nett. Haben wir den?«
»Ja, unser Beamter hat ihn gestern abgelichtet, wir haben das Foto gerade bekommen. Backman versteckt ihn zwischen den Seiten eines Fremdenverkehrsprospekts in seinem Hotelzimmer.«
»Wie lang ist er?«
»Zwei Absätze. Offenbar ist er nicht fertig geworden.«
»Lesen Sie vor«, befahl Maynard, lehnte den Kopf an die Rückenlehne seines Rollstuhls und schloss die Augen.
Julia raschelte mit Papier und rückte ihre Lesebrille zurecht. »Kein Datum, handschriftlich, schwer leserliches Gekrakel. ›Liebe Mutter, ich weiß nicht, wann oder ob du diesen Brief bekommst. Wie dem auch sei, ich bin raus aus dem Gefängnis, und es geht mir besser. In meinem letzten Brief habe ich geschrieben, dass bei mir in der Pampa in Oklahoma alles in Ordnung ist. Damals hatte ich noch keine Ahnung, dass mir der Präsident Straferlass gewähren würde. Es ging alles so schnell, dass ich es immer noch kaum glauben kann.‹ Zweiter Absatz. ›Ich lebe jetzt auf der anderen Seite der Welt, wo, kann ich nicht sagen, denn das würde ein paar Leute ziemlich beunruhigen. Ich wäre lieber in den Staaten, aber das ist nicht möglich. Leider hatte ich da kein Mitspracherecht. Mein Leben hier ist nicht gerade so, wie ich es mir immer gewünscht habe, aber es ist in jedem Fall besser als das, das ich noch vor einer Woche hatte. Es ging mir im Gefängnis sehr schlecht, auch wenn ich in meinen Briefen etwas anderes erzählt habe. Ich wollte nicht, dass du dir Sorgen machst. Hier bin ich frei, und das ist das Wichtigste überhaupt. Ich kann auf der Straße spazieren gehen, in einem Café essen, kommen und gehen, wann ich will, und tun und lassen, was mir gefällt. Freiheit, Mutter, ist etwas, von dem ich jahrelang nur träumen konnte und das ich unwiederbringlich verloren glaubte.‹«
Julia legte den Brief hin. »So weit ist er gekommen.«
Maynard schlug die Augen auf. »Meinen Sie, er ist dumm genug, einen Brief an seine Mutter zu schicken?«
»Nein. Aber er hat ihr lange Zeit einmal die Woche geschrieben. Es ist ihm zur Gewohnheit geworden, und wahrscheinlich hat das Schreiben sogar therapeutische Wirkung. Er muss sich jemandem mitteilen.«
»Kontrollieren wir immer noch ihre Post?«
»Ja, das wenige, das sie bekommt.«
»Sehr gut. Sorgen Sie dafür, dass ihm ein gehöriger Schrecken eingejagt wird, und berichten Sie mir dann wieder.«
»Ja, Sir.« Julia sammelte ihre Unterlagen ein und verließ das Büro. Maynard nahm die Zusammenfassung und nestelte an seiner Lesebrille herum. Hoby ging in die kleine Küche nebenan.
Das Telefon von Backmans Mutter im Pflegeheim in Oakland war angezapft, aber bislang hatte sich noch nichts Neues ergeben. An dem Tag, als die Begnadigung verkündet worden war, hatten zwei sehr alte Freunde angerufen, halbherzig gratuliert und viele Fragen gestellt.
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