Die Begnadigung
Non male « , sagte sie.
Als die Salate kamen, drückten Luigi und die Signora ihre Zigaretten aus. Sie unterbrachen die ohnehin stockende Unterhaltung, um sich ihren Tellern zu widmen. Wein wurde nicht bestellt, obwohl er sicher hilfreich gewesen wäre.
Marcos Vergangenheit, die Gegenwart der Signora und Luigis geheimnisvoller Job waren als Themen tabu, und so retteten sie sich in Smalltalk über das Wetter, zu Marcos großer Erleichterung hauptsächlich auf Englisch.
Als jeder seinen Espresso getrunken und Luigi die Rechnung bezahlt hatte, verließen sie das Restaurant. Im Hinausgehen steckte Luigi Marco einen Umschlag zu, sodass Francesca Ferro es nicht sehen konnte. »Hier sind ein paar Euro«, flüsterte er.
»Danke.«
Es schneite nicht mehr, stattdessen war die Sonne herausgekommen und strahlte ungetrübt vom Himmel. Luigi verabschiedete sich auf der Piazza Maggiore und verschwand auf seine bekannte unnachahmliche Art. Eine Weile gingen sie schweigend nebeneinander her. » Che cosa vorrebbe vedere? « , fragte Francesca Ferro dann. Was möchten Sie gern sehen?
Marco kannte die größte Kirche der Stadt noch nicht, die Basilica di San Petronio. Vor der weiten Freitreppe blieben sie stehen. »Sie ist ebenso schön wie traurig«, sagte Francesca auf Englisch und verriet den leichten Anflug eines britischen Akzents. »Die Väter der damals freien Stadt hatten sie zunächst nicht als Kathedrale, sondern als Tempelbau vorgesehen – als Ausdruck der Opposition gegen den Papst. Ursprünglich hätte sie größer als der Petersdom werden sollen, doch der Vatikan stellte sich dagegen und machte größere Summen locker, wodurch unter anderem die Universität entstand.«
»Wann wurde sie erbaut?«
»Sagen Sie das auf Italienisch«, ordnete sie an.
»Das kann ich nicht.«
»Dann hören Sie zu: Quando è stata costruita? Wiederholen Sie den Satz.«
Beim vierten Mal war sie zufrieden.
»Ich halte nichts von Büchern, Kassetten und solchen Sachen«, erklärte sie, während sie an der Fassade des wuchtigen Kirchenbaus hochblickten. »Ich glaube nur an Konversation. Um eine Sprache zu lernen, muss man sie sprechen, sprechen, sprechen. Wenn Kinder sprechen lernen, machen sie es genauso.«
»Wo haben Sie Englisch gelernt?«, fragte er.
»Die Frage kann ich nicht beantworten. Ich habe Anweisung, nicht über meine Vergangenheit zu reden. Ebenso wenig wie über Ihre.«
Für den Bruchteil einer Sekunde war Marco nahe daran, sich umzudrehen und einfach wegzugehen. Er hatte die Nase voll von Leuten, die nicht mit ihm reden durften, die seinen Fragen auswichen und sich benahmen, als wimmelte es überall nur so von Spionen. Er hatte genug von dieser Farce.
Er war ein freier Mann, konnte frei entscheiden und kommen und gehen, wann er wollte. Wenn er Luigi, Ermanno oder Signora Ferro nicht mehr sehen wollte, konnte er ihnen – und zwar auf Italienisch – sagen, dass sie von ihm aus an einem Panino ersticken sollten.
»Der Bau begann 1390, und in den ersten hundert Jahren ging alles gut voran«, nahm Francesca ihren Vortrag wieder auf. Der Sockel der Fassade war kunstvoll mit rosafarbenem Marmor verkleidet und die oberen zwei Drittel der Wand bestanden aus nacktem, schmutzig braunem Mauerwerk. »Dann allerdings folgte eine schwierige Phase. Wie man sieht, wurde das Äußere nie vollendet.«
»Nicht besonders hübsch.«
»Nein, aber faszinierend. Möchten Sie hineingehen?«
Marco hatte in den nächsten drei Stunden ohnehin nichts anderes zu tun. » Certo « , erwiderte er.
Sie stiegen die Stufen hinauf und blieben vor dem Haupteingang stehen. Francesca Ferro blickte auf ein Schild. » Mi dica « , begann sie. »Sagen Sie mir, wann die Basilika geschlossen wird.«
Marco legte die Stirn in tiefe Falten und suchte in seinem Hirn nach den richtigen Worten. » La chiesa chiude alle sei. « Um sechs.
» Ripeta. «
Er wiederholte den Satz sechsmal, bis sie sich endlich erbarmte, dann traten sie ein. »Die Basilika wurde nach San Petronio benannt, dem Schutzheiligen von Bologna«, erklärte sie mit gedämpfter Stimme.
In das Hauptschiff hätte ein ganzes Hockeyfeld samt Zuschauertribünen gepasst. »Sie ist riesig«, kommentierte Marco ehrfürchtig.
»Ja, dabei ist sie nur ein Viertel so groß, wie sie hätte werden sollen. Der Papst wurde nervös und begann, Druck auszuüben. Unsummen öffentlicher Gelder wurden ausgegeben, und am Ende wollten die Menschen von dem Bau nichts mehr wissen.«
»Trotzdem ist sie sehr
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