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Die Begnadigung

Die Begnadigung

Titel: Die Begnadigung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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abgedeckt auf dem OP-Tisch liegt, ist ein Fall. Oft kenne ich nicht einmal den Namen oder das Gesicht. Nur die Röntgenbilder und die Diagnose. Das genügt mir.« Dr. Färber sah hinüber zu dem weißen Klinikbau. »Ihr Gatte ist ein anderes Extrem. Er ist der Heilige hinter dem Berg. Die Welt hat nie etwas übrig gehabt für die großen Seelen. Sie gehorchte immer nur der Macht. Das scheint im Wesen der Menschheit zu liegen!«
    Karin hakte sich bei Färber unter. Sie war blaß und schmal geworden. Die Sorge um die zurückgehende Praxis, die heimliche und auch offene Feindschaft, die ihrem Mann entgegenschlug, ertrug sie weniger standhaft als er. Sie ließ es sich nicht anmerken, aber in den Nächten lag sie wach, starrte an die Decke und begann immer wieder zu rechnen. Das elterliche Vermögen hatte die Vier-Betten-Klinik aufgesaugt. Das wenige, das geblieben war, wurde jetzt zugesetzt. Es ließ sich ziemlich genau überblicken, wann die finanziellen Sorgen akut wurden …
    »Sie … Sie wissen mehr, als Sie angedeutet haben«, sagte sie stockend.
    Färber legte seine große Hand auf ihre Finger. Wie rührend sie ist, dachte er. Und sie glaubt so fest an ihren Mann. Man kann sie nicht wehrlos in das Unglück stolpern lassen.
    »Ich weiß mehr.« Dr. Färber sah auf den sandigen Uferboden. Die Spitzen seiner italienischen Schuhe stießen einen runden Kieselstein hin und her. »Überreden Sie Ihren Gatten, aus diesem herrlichen Haus eine Rekonvaleszenzklinik zu machen. Wir belegen ihm sofort alle Betten. Er könnte das sorgloseste Leben haben. Professor Runkel sogar würde sich mit seinem Namen vor die Klinik stellen. Nur eines sollte er nicht tun: Eine Krebsklinik aufmachen, in der man mit wissenschaftlich fragwürdigen Methoden experimentiert. Er hetzt sich die gesamte Schulmedizin auf den Hals. Wissen Sie, was das bedeutet? Das ist sein fachlicher Tod!«
    »Er weiß es.« Kläglich klang das. Karin hatte den Kopf gesenkt. Färber hatte das Empfinden, daß sie gegen die Tränen ankämpfte. Er legte den Arm um ihre Schulter. Nichts rechtfertigte diese intime Geste, aber er konnte in diesem Augenblick nicht anders.
    »Und was sagt er?«
    »Ich gehe meinen Weg …«
    »Sie wissen, wohin er geht? Halten Sie ihn davor zurück, gnädige Frau. Ich habe als Mensch eine große Achtung vor Jens. Er könnte mir ein Freund werden … aber seine Wahnidee, ein Messias der Krebskranken zu werden, dieser blühende Irrsinn trennt uns unüberbrückbar. Er will einfach nicht einsehen, daß seine Idee von der chronischen Allgemeinerkrankung des Menschen an Krebs und die damit verbundene völlige Lebensumstellung nicht durchführbar ist. Zwei Methoden, das wissen Millionen, kämpfen – so gut sie können – gegen den Krebstod: Stahl und Strahl. Glauben Sie, daß Millionen auf das ›Kehrt marsch!‹ eines einzelnen wirklich umkehren und ihm nachlaufen zu Rohkost, Joghurt und Sauerkrautsaft?«
    »Aber wenn Jens beweisen könnte, daß er Krebs heilen kann? Daß nicht mehr jeder Fünfte daran zu sterben braucht?«
    »Glauben Sie, diese Tatsache schreckt ab? Lieber gut und kürzer gelebt, als hundert Jahre alt werden und wie ein Eremit vegetieren … das ist doch heute die Ansicht. Will Ihr Mann die ganze Welt umerziehen? Frau Karin, jeder real Denkende wird hier sagen: Der gute Hansen ist mehr als ein Phantast … er ist ein Selbstmörder!«
    Karin schwieg. Sie drückte Dr. Färber die Hand und wandte sich ab. Färber spürte, daß sie das, was sie dachte, ihm nicht sagen wollte und konnte.
    Er sah ihr lange nach, bis sie im Eingang der Klinik verschwand. Dann erst ging er langsam am Ufer zurück zu seinem Wagen.
    Die Begegnung mit Karin Hansen beschäftigte ihn noch auf der Heimfahrt. Konnte es sein, daß er Hansen Erfolg und Glück wünschte, nur weil sie ihm leid tat? Das konnte doch nicht sein, das konnte doch einem Zyniker wie ihm nicht passieren …
    Jens Hansen kam spät nach Hause. Er hatte in der Stadt mit dem Feinmechaniker die neuen Warmäther-Inhalatoren durchgesprochen.
    Er fand die Wohnung leer. Das Wohnzimmer war dunkel, die Küche, der Wintergarten. Auch in der Vier-Betten-Klinik brannte kein Licht. Hatte Karin sich umgezogen und war wieder gegangen? Sie tat es sonst nie, ohne wenigstens einen Zettel zu hinterlassen.
    Kopfschüttelnd ging er ins Schlafzimmer. Als er die Deckenlampe anknipste, sah er Karin im Bett liegen. Angezogen lag sie auf der Steppdecke, das Kleid über der Brust aufgerissen, mit leichenblassem

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