Die Begnadigung
Gesicht, die Hände um den zurückgezerrten Ausschnitt verkrampft.
»Karin! Was ist denn!«
Hansen stürzte an das Bett. Als er sie berührte, war sie kalt, als habe sie stundenlang in eisigem Wind gelegen. Eine wahnsinnige Angst zuckte in Hansen auf. Er beugte sich über Karin, legte das Ohr auf ihre Brust. Ganz schwach hörte er das Herz klopfen. Unregelmäßig, flatternd, außer Rhythmus, öfters einen Schlag aussetzend. Der Puls war weich, kaum tastbar. Er zog ihre unteren Lider herab. Sie waren fast blutleer. Der Atem wehte gerade noch spürbar aus den fahlen, bläulichen Lippen.
Dr. Hansen handelte schnell. Er wußte nicht, wann der akute Herzanfall eingesetzt hatte und wie lange die Kreislaufschwäche schon andauerte. Er rannte in die Praxis, zog eine Spritze auf, lief zurück und injizierte das Kreislaufmittel.
Langsam kehrte Karins Leben zurück. Der Puls wurde stärker, die Durchblutung normalisierte sich.
»Jens …«, sagte sie leise, noch mit geschlossenen Augen. Ihre Hände tasteten nach ihm. Er ergriff sie und hielt sie fest, ganz fest. »Bleib bei mir, Jens …«
Er beugte sich über sie und küßte sie. »Ich bin ja da, Liebes.« Seine Stimme schwankte. »Ich bin ja da. Sag mir, wie ist das alles gekommen …«
Sie warf plötzlich die Arme um seinen Nacken und preßte seinen Kopf gegen ihre Brust. Eine solche Stärke war in diesem Griff, eine solche Verzweiflung, daß Hansen einfach stillhalten mußte.
»Du sollst hierbleiben!« flüsterte sie. »Geh nicht weg … nie … Geh nicht an den See … Laß uns hierbleiben, Jens, ganz allein, für uns … ich bitte dich, Jens … bleib hier …«
Hansen konnte nicht sprechen, er rang nach Luft. Sein Gesicht lag auf Karins kalter, glatter Haut. Ihre Arme preßten seinen Kopf an sie wie eine eiserne Zwinge.
Ihr Herz klopft wieder, dachte er nur. Unter seinem Ohr hörte er es hämmern, die Brust zitterte unter den Schlägen. Ihr Herz klopft wieder …
Karin, du bist bei mir …
Karin lag noch zu Bett und wurde von Hansen gepflegt, als die Nachricht aus Kopenhagen eintraf.
Svensson war erkrankt. Nicht an einem Karzinom, sondern an einer Lungenentzündung. Er war trotz der schon kalten Herbstwitterung nackt durch seinen Park gelaufen und von den Klippen ins Meer gesprungen. »Abhärtung ist alles!« hatte er dem Diener zugerufen, der jammernd hinter ihm herlief, zur sichtbaren Unterscheidung von seinem Herrn mit einer Badehose bekleidet.
Während der Diener nur einen handfesten Schnupfen bekam, schüttelte Björn Svensson schon gegen Abend ein Fieberanfall. Mit klappernden Zähnen saß er am Kamin, trank heißen Melissensaft und wurde nach Eintreffen des Hausarztes sofort von ihm ins Bett gesteckt.
Gegen Morgen phantasierte Svensson bereits, er kannte seinen Diener nicht mehr und nannte ihn Wilhelm. So hieß der Vorarbeiter der Plöner Baukolonne.
Der Hausarzt traktierte ihn mit Injektionen. Der Diener rief Dr. Hansen an.
»Ich komme morgen nach Nyköbing.« Dr. Hansen sah auf Karin. Ihr ging es besser. Eine Krankenschwester von der Vier-Betten-Klinik würde sie weiterpflegen.
»Was ist mit Björn?« fragte Karin.
»Pneumonie …«
»Ernst?« Ihre besorgte Stimme veranlaßte Hansen, zu lügen.
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Eine Lungenentzündung ist doch heute kaum noch ein Problem. Björn, will mich nur um sich haben …«
In der Nacht noch fuhr Hansen nach Dänemark. Als er gegen zehn Uhr vormittags in Nyköbing eintraf, wehte an der Türklinke der großen Eingangstür der Villa ein schwarzer Schleier.
Hansen rannte die Freitreppe hinauf, durch die Halle, riß die Tür des Schlafzimmers auf … auf seinem Bett, unter einem Sauerstoffzelt, die Hände gefaltet, lag Björn Svensson. Der Hausarzt, die Verwandtschaft, das Hauspersonal standen um ihn herum. Björn Svensson lag in den Kissen, als träume er vom großen Glück.
Der Hausarzt stellte Dr. Hansen vor. Er schüttelte Hände, blickte in steinerne, von keiner Trauer gezeichnete Gesichter, in Augen, die ihn abschätzten, die ihn stumm anklagten: Du hast unserem Björn ein kleines Vermögen entzogen, das uns gehörte.
Hansen spürte die Feindschaft. Er verabschiedete sich schnell und bezog ein Hotel in Nyköbing. In der Nacht, als die Verwandtschaft schlief, ließ der Diener ihn noch einmal heimlich ins Haus. Lange saß Hansen dann vor dem aufgebahrten Leichnam, nahm Abschied von dem einzigen Freund und kam sich verlassen vor, wie ausgesetzt.
Im Park seines Schlosses, nahe den
Weitere Kostenlose Bücher