Die Behandlung: Roman (German Edition)
eine dunkle Landschaft, die nachts neben ihr im Bett gelegen hatte.
»Oh, Josh«, flüsterte sie. »Hal, Josh, ich liebe euch.«
Im Haus war alles still, als sie die Augen wieder schloss. Oben am Himmel hörte sie ein Flugzeug. Plötzlich fiel ihr der Sonnenaufgang wieder ein, den sie gesehen hatte, als sie mit Hal nach Kuba geflogen war – zu einer Zeit, da noch niemand nach Kuba gereist war, als man im Reisebüro noch ausgelacht wurde, wenn man nach Kuba fahren wollte, und man noch auf diversen karibischen Inseln zwischenlanden musste, um überhaupt dorthin zu kommen. Aber Hal hatte sich durch nichts beirren lassen, weil ihn die Möbelfabriken in Holguín interessierten. Sie vergrub das Gesicht in den Händen, versuchte, sich ein Meer vorzustellen, das sie schon immer hatte sehen wollen – eine magische See, vielleicht die See des Cortez -, ein mysteriöses Meer, wo die Wale sich zur Paarung einfanden und wo in der Abenddämmerung über dem Wasser ein seltsamer Gesang erklang …
So lag sie – noch immer an den Heizkörper gefesselt – träumend und schaudernd da und hatte nicht mehr die Kraft, die Fliegen zu verscheuchen, die in ihrem Gesicht umherkrabbelten.
Als die beiden unten auf den Stufen vor dem Arkaig Tower angelangt waren, verlangsamte Souness plötzlich ihr Tempo. Schon im Aufzug hatte sie in dem »Behandlung«-Heft geblättert – jenem merkwürdigen Notizbuch, das sie in Klares Schreibtisch gefunden hatte – und immer wieder verwundert den Kopf geschüttelt. Jetzt war sie von Klares Notizen so gebannt, dass sie beinahe stehen blieb. Auch Caffery blieb stehen und drehte sich nach ihr um: »Danni?«
»Einfach unfassbar.« Sie schüttelte den Kopf und pfiff leise durch die Zähne. »Kompletter Wahnsinn.«
»Wieso?«
Sie sah ihn an. »Steht alles hier drin.«
Er stellte sich hinter sie, blickte ihr über die Schulter und las: »›Kontakt mit weiblichen Hormonen …‹ Was soll das heißen?« Er wollte ihr das Buch aus der Hand nehmen, aber sie schob ihn mit der Schulter beiseite.
»Lassen Sie mich in Ruhe.« Sie las noch immer kopfschüttelnd in Klares Aufzeichnungen: »›Milchgerüche – äußerst unangenehm. Prolaktine sind …‹«
»Was ist denn das – Prolaktine?«
»Weiß der Teufel.« Sie klappte das Buch zu und schob es in die Tasche. »Wir fahren jetzt erst mal ins Büro, und dann schauen wir uns das Buch näher an. Vielleicht enthält es ja einen Hinweis darauf, wo wir die armen Leute finden können, bei denen er sich zur Zeit eingenistet hat.« Sie hob den Kopf und blickte um sich. Die Straßen ringsum lagen verlassen da. »Hm … verdammt noch mal – wo haben wir denn das blöde Auto eigentlich geparkt?«
Sie beriefen eine Krisensitzung ein, um alle Kräfte auf die Fahndung nach Roland Klare zu konzentrieren. Während sie auf die Kollegen warteten, saßen sie in ihrem gemeinsamen Dienstzimmer und brauten sich einen Kaffee. Zuerst rief Caffery Rebecca an, um sich zu entschuldigen – »Kein Problem, ehrlich, Jack. Ich schau mir ohnehin gerade’ne Wiederholung von Eurotrash an.« Er hätte sie umarmen mögen, so gerührt war er. Dann war Souness an der Reihe und verklickerte Paulina denselben Text. Caffery saß währenddessen auf der anderen Seite des Schreibtischs, schaute im Fenster sein Spiegelbild an und wartete darauf, ob Souness und Paulina über ihn sprechen würden. Doch das war nicht der Fall. Sobald Souness den Hörer aufgelegt hatte, beschäftigte sie sich sofort wieder mit dem Buch. Er war erleichtert – ihre unausgesprochene Vereinbarung war also noch in Kraft. In den nächsten Stunden galt das Interesse der beiden Polizisten einzig Roland Klare …
Sie saßen Schulter an Schulter wie Kinder auf der Schulbank und lasen Klares merkwürdiges Elaborat fast wortlos von vorne bis hinten durch. Natürlich begriffen sie sofort, dass das Buch tiefe Einblicke in die Psyche des Mannes gewährte, in schriftlicher Form Aufschluss über seine Motive gab. Ja, Souness hatte bisweilen fast das Gefühl, Klares zuckendes Herz wie auf einem Präsentierteller vor sich zu sehen. Der Mann beschrieb in der Kladde minutiös seine sämtlichen Rituale und Ängste, seine Vorliebe für schattige Plätze hoch über dem Boden, und er hatte außerdem notiert, wie er Carmel Peach außer Gefecht gesetzt hatte. Die beiden Polizisten fanden in dem Buch sogar detaillierte Auskünfte über seine Impotenz und über seinen Wunsch, Alek Peach dabei zuzusehen, wie er seinen eigenen Sohn
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