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Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern

Titel: Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Natalie Standiford
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Sullivan-Kinder. Erinnerst Du Dich noch an das Jahr, als Sassy, Norrie und ich Sisters aus dem Musical White Christmas sangen? Mit Federn und allem Drum und Dran? Das fanden alle toll. Dieses Jahr waren unsere Kostüme simpel – bis auf Takeys, der eine Perücke und weiße Schminke tragen musste, und Sassys, deren Perücke Deinen Haaren ziemlich ähnlich sah (falls Dir das entgangen sein sollte). Ansonsten drapierten wir lediglich Bettlaken als Togen über unsere Kleider, um der Sache einen klassischen Anstrich zu geben. In Anbetracht der Tatsache, dass wir alles an einem Tag auf die Beine gestellt hatten, fand ich uns ganz gut. Und obwohl wir geprobt hatten, erwartete ich nicht, dass Takey am Ende wirklich diese kleine Geste machen würde – die alle zum Heulen brachte. Es war Sassys Idee, ihre spezielle Regieanweisung. Ich hatte nichts damit zu tun. Und es stand nicht im Original – ich habe nachgelesen.
    Es war nett von Dir, dass Du im Anschluss alle mit Deinem weihnachtlichen Potpourri aus Kabarettnummern aufheitern wolltest – Du hast Dich gut ins Zeug gelegt. Ich bin aber nicht sicher, ob es funktioniert hat. Egal, die Mitternachtsmesse ist immer ganz nett als Aufheiterung, oder?
    Jetzt hast Du Dich schon durch diese ganze lange Erklärung gequält und dabei sicher gedacht: Das ist kein Bekenntnis. Jane empfindet nicht die geringste Reue . Kann ich verstehen. Doch nun kommen wir zu der Stelle, an der sich alles ändert, der Stelle, an der ich meinen Irrtum erkenne und Besserung gelobe.
    Es geschah ausgerechnet in der Kathedrale, am Heiligabend, während der Mitternachtsmesse.
    Irgendwas am Wintermärchen muss es in mir ausgelöst haben, denn als ich die Kathedrale betrat, hatte ich ein feierliches und fast … ehrfürchtiges Gefühl. Eigentlich finde ich den Weihnachtsgottesdienst oberflächlich – all die lipglossbepinselten Mädchen, die den neuen Schmuck vorführen, den sie zu Weihnachten bekommen haben, und die frisch ausgepackten Pullover, dann die Priester in ihren mittelalterlichen Gewändern und das plump-vertrauliche Gefasel des Kardinals über seinen letzten Besuch in Rom und die Gesundheit Seiner Heiligkeit. Uuh, Herr Kardinal, wir sind zutiefst von Ihrer Freundschaft mit dem Papst beeindruckt. Kennen Sie auch Beyoncé?
    Dann sah ich am Ende unserer Bank zwei Leute, einen Mann und eine Frau von etwa Mitte dreißig, die völlig weggetreten waren. Erst überlegte ich, ob sie schliefen – es war immerhin schon fast Mitternacht. Doch als sie sich in Zeitlupe nach vorn neigten und leicht zurückzuckten, als ihre Köpfe die Vorderbank berührten, war mir klar, dass sie Junkies waren. Sie sahen nicht aus wie Obdachlose oder so – der Mann hätte mal wieder zum Friseur gehen können, aber er war nicht schmutzig, und der Tweedmantel der Frau wirkte neu.
    Welche Sorte Mensch dröhnt sich die Birne zu und geht dann zur Messe? Vielleicht hofften sie ja auf eine megaübersinnliche Erfahrung. Ich sah immer wieder zu ihnen hinüber, um mich zu vergewissern, dass sie nicht die Geister der künftigen Weihnacht waren. Sie wachten kurz auf und lächelten einander mit halb geschlossenen Augen an.
    Hatten sie keine Angst, dass jemand sie sah? Zum Beispiel jemand aus ihrer Familie? Die Frau hätte eine ehemalige Schülerin von St. Maggie’s sein können. Vielleicht kannten wir jemanden aus ihrer Familie. Möglich wäre es.
    Der Anblick dieser Junkies löste trübe Gedanken bei mir aus. Ich sollte mich auf die Messe konzentrieren , dachte ich und beachtete sie nicht weiter. Ich sah mir die Buntglasfenster an und versuchte mich an die Geschichten zu erinnern, die sie erzählten. Da war die heilige Brigida von Kildare, die Schutzheilige der guten alten planlosen Bridget. Bridget war möglicherweise auch mit ihrer Familie irgendwo in der Kathedrale. So wie Bibi und Tasha und Shea und Brooks …
    Auf ein Fenster über dem Beichtstuhl war, zusammen mit Lazarus und dem verlorenen Sohn, ein Bild von der Jungfrau von Orléans gemalt. Sie kniet vor einem leuchtenden Engel und empfängt eine Nachricht von Gott, sie kämpft nicht, sondern hört zu und gehorcht. Typische Kirchenpropaganda. Aber wie sie da auf ihren Knien liegt, wie sie sich vorbeugt … Das spiegelte sich im weggetretenen Zustand der Junkies wider. Es klingt bescheuert und es ist mir peinlich, das zuzugeben – wie gesagt, ich war sowieso in einer seltsamen Stimmung –, aber ich brach in Tränen aus. Warum genau ich weinte, kann ich nicht sagen.

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