Die Bekenntnisse der Sullivan-Schwestern
na ja, beibringen vielleicht nicht gerade. Aber ich kann versuchen, dir bei deinen Mathehausaufgaben zu helfen.«
»Du versuchst mir zu helfen?« Sie runzelte die Stirn. Für eine Fünftklässlerin ist ihr skeptisches Gesicht ganz schön einschüchternd.
»Das ist doch das Mindeste, oder?« Ich versuchte, ihrem Stirnrunzeln mit einem entwaffnenden Lächeln zu begegnen, aber es funktionierte nicht. Es klappt nie. Ich setzte mich an den Tisch. »So, wo liegt denn das Problem?« Dr. Sassy ist hier, um deine Mathewehwehchen zu heilen. »Die Schule hat vor ein paar Wochen wieder angefangen. Hast du schon irgendwelche Mathearbeiten geschrieben?«
»Klar«, antwortete sie.
»Und was hast du bekommen?«
»Ein ›F‹ und ein ›D‹.«
»Super! Das zeigt, dass du Fortschritte machst, oder?«
»Was hattest du denn in deinem letzten Mathetest?«
Vor meinen Augen leuchtete ein rotes »C–« auf. Sollte ich ihr das verraten? Vielleicht weckte es kein allzu großes Vertrauen in meine Fähigkeiten. Da ich andererseits selbst kein großes Vertrauen in meine Fähigkeiten hatte, war Ehrlichkeit vielleicht die beste Strategie. Vielleicht würde sie mich lieber mögen, wenn sie uns beide für Mathedeppen hielt.
»Hier geht es nicht um mich.«
»Hmmph. Kommt mir bekannt vor.«
»Gut, lass uns ehrlich sein. Ich kann Mathe nicht leiden. Du kannst Mathe nicht leiden. Aber es ist ein Teil unseres Lebens und es gibt kein Entkommen. Welche Fächer magst du?«
»Gemeinschaftskunde. Sprachen und Literatur.«
»Ich auch. Ich habe gehofft, ich dürfte Nachhilfe in Sprachen geben, aber das hast du vermutlich nicht nötig.«
»Nein, hab ich nicht. Ich brauche Mathenachhilfe.« Sie schob mir ihren letzten Mathetest über den Tisch entgegen, den mit dem »D«. Ich starrte auf das Papier. Brüche verschwammen vor meinen Augen, verwirrten und entwirrten sich auf unangenehme Art und Weise. Ich zermarterte mir den Kopf, was ich – irgendwie – Bedeutungsvolles sagen könnte.
»Ähm, wie heißt eigentlich deine Lehrerin?«
»Ms Frazier.«
»Magst du sie?«
»Nein.«
Allmählich kamen wir doch auf den Punkt. »Warum nicht?«
»Sie hat einen Knall. Sie hat einen künstlichen Fuß und wenn sie sauer ist, nimmt sie ihn ab und droht damit, ihn nach uns zu werfen.«
»Einen künstlichen Fuß? Also eine Prothese?«
»Ja-ha. Sie wedelt damit vor uns herum, mit Schuh und allem Drum und Dran.«
Ich lachte. »Das denkst du dir doch aus.«
»Stimmt wirklich.« Aber sie lächelte auf diese unergründliche Art, dass ich mir nicht sicher sein konnte.
»Wie hat sie ihren Fuß verloren?«
Cassandra zuckte mit den Schultern. »Sagt sie nicht. Wir trauen uns nicht, sie zu fragen.«
»Na gut. Wie soll man unter so schrecklichen Umständen Mathe lernen? Wenn man in der Furcht leben muss, mit einer Fußprothese beworfen zu werden?«
»Sag ich doch. Aber meine Moms nimmt mir das nicht ab. Vielleicht, weil meine Freundin Keema irgendwie immer ein ›A‹ bekommt. Frag mich nicht, wie.«
»Meine Freundin Lula kann quadratische Gleichungen durch bloßes Anschauen lösen«, sagte ich. »Es grenzt an übernatürliche Kräfte. Dafür ist sie in Französisch grottenschlecht. Selbst wenn es um ihr Leben ginge, könnte sie nicht la jeune fille aussprechen. ›La schönn vieh‹. Wenn man sie im Französischunterricht erlebt, kann man fast glauben, sie ist zurückgeblieben. Wenn man mich dagegen in Mathe erlebt, hält man mich für zurückgeblieben.«
Ups. Ich hatte zu viel gesagt. Cassandra musterte mich skeptisch, Daddy-o nennt das »den kritischen Blick«.
»Du bist in Mathe auf Zurückgebliebenen -Niveau, und ausgerechnet du willst mir Nachhilfe geben?«
Ich zeigte ihr die Lehrerausgabe, die mir Larry Gant gegeben hatte. »Hier! Ich habe die Ergebnisse. Wir kriegen das schon raus.«
Ich war noch nicht bereit aufzugeben. Wenn ich diesem Mädchen nicht helfen konnte – das außer in Mathe keine Hilfe zu brauchen schien –, wozu war ich dann gut? Außerdem mochte ich sie.
Cassandra schlug das Buch auf. »Steht da irgendwo, wie man Brüche multipliziert?«
Ich fand das Kapitel über Bruchrechnung und las es laut vor. »Das Multiplizieren von Brüchen ist ganz einfach! Prüfe zuerst, ob du kürzen kannst. Teile Zähler und Nenner eines Faktors durch die gleiche Zahl.« Ich sah mir die erste Aufgabe in Cassandras Test an. »Hast du gekürzt?«
»Musst du doch wissen.«
Ich hatte keinen blassen Schimmer. Ich las weiter. »Nun multipliziere die
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