Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Wiedersehensfreude so vernagelt reagiere. Könnte in Neuilly gewesen sein, da hatte ich doch diese Arbeitsmansarde. Und während ich meine inneren Akten durchwühle, erregt, hüllt er mich mit dezenten begleitenden Gesten in einen Redestrom, Erinnerungen, Rekapitulationen, er sei übrigens eben erst aus dem Spital entlassen worden, nach vierjährigem Krankheitsaufenthalt, höre ich und komme mir noch um eine Spur gemeiner vor. Und als er hinzufügt, und zwar in vertraulichem Ton, er habe keine Unterkunft oder noch keine und keinen Sou, blitzt endlich MiÃtrauen in mir auf, aber noch ganz vage oder wolkig, und schon sehe ich mich mein Portefeuille zücken und den einzigen 50-Francs-Schein, den ich vorfinde, hervorziehen. Der Schein wechselt die Hand, der Kerl klopft mir auf die Schulter, nun duzt er mich, während er bis dahin sehr gekonnt zwischen Sie und Du zu navigieren verstand, und jetzt wird mir auch klar, daà ich den Kerl überhaupt nicht kenne, der sich nun geradezu gönnerhaft von mir abwendet und allerlei banale
Wiedersehenswünsche murmelt, und ich denke, klar, hast dich hereinlegen lassen, aber mit welcher Brillanz der vorgeht, das ist mir vielleicht eine Masche, und obwohl ich mich für dumm verkauft erkenne, als wahren Tölpel sehe, klatsche ich innerlich Beifall. Er hat mich ganz schön erwärmt und alles in allem angenehm durcheinandergebracht, wie in früheren Zeiten, denke ich, obwohl ich selber nicht genau weiÃ, was ich damit sagen will. Ein Virtuose.
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Es ist, wie mir eben erst aufging, wirklich eine Monstrosität, wie ich meine Mutter beschreibe und sehe. Sie war für mich, wenigstens soweit ich mich zurückerinnern kann, immer die fügsame Tochter meiner GroÃmutter, in der Kindheit eine Art höhere Tochter, eingebunden in den hektischen Pensionsbetrieb, unterm Regiment von GroÃmutter. Sie hatte die Tochter-, nicht die Mutterrolle inne, sie repräsentierte gegenüber den Pensionären und spielte sich in Grenzen auf, auch gegenüber den Dienstmädchen, doch gab es einfach keinen Spielraum für ein mütterliches Handeln uns Kindern gegenüber. Sie war eine ferne Erscheinung. Auch sah ich sie überhaupt nie in einem annähernd ehelichen Kontakt zu Vater. Im Grunde waren wir alle Pensionäre, wir alle. Ich hatte weder Vater noch Mutter, keine entsprechende Einbindung, ich hatte die Schwester und GroÃmutter â als Autorität. Vater war der definitive Fremde. Kann mich an keine mütterlichen Zärtlichkeiten, keine Zweisamkeit erinnern, ausgenommen vermutlich die ganz frühen Spaziergänge, wenn die junge Frau mich im Kinderwagen spazierenführte. Doch das ist Vorstellung und nicht Erinnerung. Keine Mutter-Kind-Beziehung, keine intime Zärtlichkeit, keine Berührungen. Und später, als ich annähernd erwachsen und GroÃmutter tot war, hatte ich eine formelhafte, in sich gefangene statuarische, weil nur auf Erscheinung, auf ängst
liche Damenmaskerade versessene, auf das, was sich gehört oder in ihrem kleinkindlich gebliebenen Wesen als ehrbar oder standesbewuÃt gelten mochte, bedachte, zutiefst unzugängliche und unselbständige Mutter zur Last. Sie war mein Kind. Sie blieb auch mir gegenüber fügsam, ihre einzige Ausdrucksform waren die Tränen, wenn ich ihr zusetzte oder sie ihrem Sinn nach überforderte oder respektlos behandelte. Das waren fast russische Verhältnisse. Eine unerreichbare Mutter.
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Auf dem Markt hat mich ein Herumtreiber von nicht gerade jugendlichem Aussehen, der einen sitzen hatte, am Arm gefaÃt mit der weinseligen Bemerkung: Sie sind mein Papa, jawohl, er ist mein Vater, hallo Papa, kannst du mir nicht ⦠usw. Der Mann sah in meinen Augen wie mein eigener GroÃvater aus, wie kommt er nur dazu, in mir eine väterliche Instanz zu begrüÃen, bin ich Methusalem? murmelte ich leicht beleidigt und gleichzeitig vergnügt: Warum auch nicht.
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Dieses Jahr ist mir das Knospen und das Schlüpfen der Kastanienblätter in den Tuilerien nicht entgangen, ich habe alle Stadien genau verfolgt, ich war, könnte ich sagen, dabei(gewesen). Weià der Himmel, was die Erregung, was das Glück ist beim Anblick dieser Vorgänge. Bereits wenn sich an den Trieben die dunkelbraunen klebrigen Knospen bilden, verschlägt es mir vor Staunen den Atem wie zu einem StoÃgebet. Warum bin ich von nun an in
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