Die Belagerung der Welt - Romanjahre
Picasso der Weltenschöpfer. Zur Zeugungswut gehört die Metamorphosenenergie. Es schimmern Erinnerungen an Mythen, vielleicht Religionen durch. Das Metamorphosische hat ein humoristisches Element. Der Artifex ist ein mit allen Wassern gewaschener Jongleur. Ist er ein Tiefenforscher, nahe den Ursprüngen? Auffallend die Abwesenheit von Leid und Tragik. Im Gegensatz zu Alberto Giacometti ist keine neue oder in die Zukunft weisende Welt- und Menschensicht spürbar. Ein wichtiger Einfluà ist die Negerkunst, von da das magische Ferment. Die klassizi
stische Epoche aus den dreiÃiger Jahren ist im Schillerschen Sinne sentimentalisch. Zu den Gipfeln seiner Kunst gehören die fruchtbaren Frauen und die gehörnten Frauenköpfe. Durchgehend das Züngeln der Kreatürlichkeit. Er hat für Generationen von Künstlern, nicht nur minderen, Vokabularien bereitgestellt, generös. Er ist kein Visionär, sondern tellurisch. Ein Spielkind noch im Alter. Nur im Sexus ist Tiefe. Ich war von der kopulatorischen Malerei des Spätwerks tief berührt, von der Plastik kaum. Auch Degas und Daumier und Matisse haben modelliert, um einige berühmte Maler zu nennen. Die Frage ist, ob Picassos Plastik nur eben ein Seitenwagen seiner Kunst zu nennen ist. Oder war ich vorübergehend oder besser akzidentiell blind und unempfänglich? Oder ist die Ausstellung falsch konzipiert und gehängt? Bin einigermaÃen leer ausgegangen bei dem Besuch.
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Bin jetzt bald durch mit der Lektüre des Ulysses . Hatte keine Ahnung von der geballten Ladung Blasphemie und Obszönität, die da drinsteckt und die weiland das Buch auf die Liste der verbotenen Lektüren wie Millers Wendekreis des Krebses und Calafertes Septentrion brachten. Auf den Index. Die Sexualobsessionen und fäkalischen Perversitätsphantasien sind ja wirklich aufs generöseste präsent. Aber auch der Humor ist gewaltig.
Das Vergleichzeitigungsprinzip läÃt an den Kubismus denken, wobei diese intellektuelle oder wissenschaftliche Dimension immer wieder gebrochen wird durch Einschübe deftigen realistischen Erzählens. Es geht hier um eine Totalitätsschau und darüber hinaus um die Bereitstellung aller nur denkbaren Erzählstrategien, Vokabularien, Sprachhaltungen, die wiederum ganze Legionen minderer Schriftsteller inspiriert haben. Die Anlehnung an die Odyssee scheint
mir beim Lesen nicht weiter ergiebig. Am verrücktesten dünkt mich, wie Joyce seinen Stoff aus den Wolkenballungen des Spintisierens immer wieder auf den Boden der Dubliner Realität und Humorigkeit herunterholt.
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Samstagabend, als ich allein zu Hause war, weil Odile mit Freundinnen ausgegangen und Igor über Nacht bei Agnès, das heiÃt bei deren Söhnchen Quentin untergebracht war, kam ich mir richtiggehend abgestellt vor wie ein Möbel, ich lief dann durch den Regen ins Kino und las mich danach in meiner Gottverlassenheit in den Schlaf mit dem Vorgeschmack des definitiven Ausrangiertseins, ich dachte, wenn jetzt sowohl Unseld wie Bertrand Py, die beiden Verleger, auf meine Tastversuche negativ reagiert, nämlich uninteressiert abgewinkt hätten, also auch den finanziellen Hahn abgedreht hätten â es geht bei Actes Sud um die Ãbernahme der Auslandrechte und die kommenden Journale und bei Suhrkamp um einen Vorschuàâ, dann wäre die Katastrophe da. Ich sah mich an allen Fronten kaltgestellt, an der Liebes-, der Produktions-, der Einkommens- und der Anerkennungs- bzw. Erfolgsfront, Panik. Aus der Zeit, aus der Welt, aus dem Leben gefallen. Eine Wiederholung der Einsamkeit und der Abgeschriebenheitsparalyse meiner ersten Zeit in Paris, nur daà damals natürlich noch die besten Mannesjahre objektiv ins Feld geführt werden konnten, während ich jetzt ebenso objektiv auf der Rutschbahn in den Tod hinein figuriere, das verfluchte Alter, konnte ich damals zähneknirschend murmeln, es war aber bloà Vorwegnahme und nicht wie heute. Ich bin heute ja auch allen möglichen Phänomenen gegenüber ganz anders entfremdet als damals, der ganzen Musikszene zum Beispiel, ich sehe mich vor dem Fernsehgerät wie ein Bilderbuchalter gehässig reagieren auf alles und jedes.
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Die Liebe ist letztlich immer ein MiÃverständnis.
Ich sah in der Metro oder sonstwo in einem öffentlichen Verkehrsmittel eine junge Frau ihren Begleiter mehrmals küssen und dachte:
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