Die Belagerung der Welt - Romanjahre
heilige Emblem war die Gitarre, und das ganze Jungvolk strömte in die gigantischen Messen der Popkonzerte, wo es sich speisen und bis zur Ekstase durchtränken, also wohl mobilisieren lieÃ, und die Messepriester, die neuen Helden, waren ihrerseits Schamanen, Erweckungsprediger, auÃer Rand und Band geratene Barrikadenheuler, in Aufmachung und Gebärdung schlicht unbegreiflich. Eine wahre Volksbewegung, eine neue Massenkultur, eine neue Erscheinungsform von Demokratie und Freiheit der Expression, die Phantasie an der Macht, und der unerschöpfliche Fundus hieà Kreativität. Kreativität als Massenerscheinung. Und wo gehörte ich nun hin mit meinem elitären Anspruch und revolutionären Monopol? Ich war zutiefst verunsichert, mehr als geschockt: in meinen Grundfesten erschüttert. Ãbermannt. Für mich waren nicht einfach Poesie und Musik an die Macht gekommen, sondern zusammen mit dieser ganzen Kreativität auch das Obszöne schlechthin. Für mich war es eine Entwertung meiner ganzen bis dahin gültigen Glaubensartikel.
Natürlich merkte ich gleichzeitig, daà diese neue Popkultur viel Positives entfesselte, unter anderem Widerstand gegen Krieg und Repression und die mörderischen Aspekte des Kapitalismus, eines Imperialismus, nur konnte ich mich hauptsächlich aus ästhetischen Gründen mit dieser Volksbewegung nicht ohne weiteres verbünden, ich wurde ein
mal mehr an den Rand gedrängt, natürlich auch als Schriftsteller und in allem, was mein Wertesystem anbelangte. Ich las zwar aufmerksam und teils wirklich beeindruckt Norman Mailers Heere aus der Nacht , den Marsch auf Washington, ich las die neuen Autoren. Ich begann sachte meine eigenen Vorstellungen zu hinterfragen, begann mit Selbstinfragestellung, lieà mich â in MaÃen â aufstören, vor allem 1969 dann, als ich an der ETH Gastdozent war und mitten in dieser Jugendbewegung steckte und mehr als nur gezwungen war, Farbe zu bekennen.
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Ich komme auf den Aspekt des Höherstehenden zu sprechen, weil mir kürzlich meine Nichte Tamara diesen Hang als eine Art familieneigenen Defekt fast zum Vorwurf machte. Die Frage ist, was es mit diesem Dünkel auf sich hat, weil offensichtlich sowohl meine Mutter wie meine GroÃmutter, obwohl beide aus bescheidenen Verhältnissen stammend und nicht sonderlich gebildet, eine entsprechende Werteausrichtung uns eintrichterten. Einen »Aristokratismus«, würde Derivière es nennen, und Ãhnliches hat man mir von meinem Habitus und Auftreten her auch immer schon angekreidet. Bei meiner Schwester hat der Anspruch auf absolute Exklusivität die Züge der Ãberheblichkeit. Vielleicht haben die beiden Mütter eine von meinem Vater abgeleitete oder auf ihn projizierte Sonderwertstellung in krauser Weise entwickelt und hochgehalten und uns Kindern eingeimpft. Eine Fassade, hochmütige, die im Grunde auf nichts beruht und reine Behauptung bleibt. Wir wurden ja aufgezogen und abgerichtet, als seien wir Prinz und Prinzessin.
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Mit Odile habe ich immer den einen Streitpunkt: Sie kann nicht verstehen, denke ich, was mich das Kunstwerden mei
ner Stoffe kostet. Nur der künstlerische Rang ist der Sieg über das Nichts, nur dieses Schöpfungswunder. Daher mein problematischer Elitismus. Es besteht ein abgrundtiefer Unterschied zwischen interessanten gutgeschriebenen Büchern oder anderen sog. künstlerischen Produkten und dem Kunstwerk, und Solidarität erwarte ich mir einzig auf dieser exklusiven Ebene. Auch Hilfe.
Der Kunstanspruch meint das totale Aufgehen von Stoff in künstlerischer Sprache, in Stil und bedeutet im Unterschied zum billigen Verbrauchsgegenstand nicht weniger als das unverwüstliche Leben. Kunst â diese leichte Sache, die so schwer zu machen ist (Utz).
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Zur Picasso-Plastik-Ausstellung im Beaubourg.
Ich habe hauptsächlich den Eindruck einer überbordenden Kunstfertigkeit gehabt und blieb merkwürdig unberührt. Ein Mann, der mit allem was eben vorliegt, mit Abfällen, als Verwandlungsakrobat Fauna und Flora und Mythenwesen und Alltäglichkeiten herzaubert und dabei alles in allem einzig das Spektakulum seiner grenzenlosen Ingeniosität und schöpferischen Fruchtbarkeit inszeniert. Was er anfaÃt, wird Akteur auf der Bühne seiner Einbildungskraft. Und die Bühne ist das Welttheater einer nimmerendenden unerschöpflichen Zeugungswut.
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