Die Belagerung der Welt - Romanjahre
unerhörte Lage in Rechnung, sollte nicht leichterhand und vorschnell liquidiert und verscherbelt werden. Für Igor ergibt sich die Illusion einer Kontinuität, wenn auch die Realität hart genug einbrechen und zuschlagen wird, auch
für mich natürlich. Odile hat das Ganze zielstrebig und souverän und irgendwie groÃartig betrieben. Im Hintergrund spielt auch eine Art Hoffnung mit, auf diese Weise aus der Liquidationsmasse und dem emotionalen Scherbenhaufen etwas für alle drei und insbesondere für die einstigen Liebenden Wertvolles retten zu können. Bin erstaunt, beeindruckt, aufgewühlt, zwischen Bewunderung und Schrecken hin- und hergerissen. So endet das Jahr, so enden die Zermürbungskriege.
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Neulich abends, ich war auf dem Heimweg, Rue Caulaincourt, und wie so oft, begreiflicherweise, etwas verstört angesichts der meiner harrenden Einsamkeit oder Einzelgängerei, neulich also hat mich ein Araber, der die vor seiner Epicerie ausgelegten Gemüse- und Früchtekisten umstellte oder einfach fürs Abendgeschäft nachfüllte, tief gerührt, er hat mir eine Welle der Wehmut entlockt, ich fragte mich, ob es das einfache Hantieren eines in seinen Dingen oder Angelegenheiten ruhig Beheimateten, ob es dessen Aufgehobensein war, die mich meine neue Entwurzelung mit Schrecken verspüren lieÃ. Eine alltägliche Verrichtung wie ein Kehrreim, der Gang der Dinge â und ich? Und einmal sah ich einen Jungen, jungen Menschen, eine Wollweste oder -joppe auf der StraÃe überstreifen, er war jung und kräftig und schien es eilig zu haben, und nun schritt er aus, lief seinen Dingen nach, und ich dachte, natürlich verwendet er keinen Gedanken an die nachlässige Geste und schon gar nicht an die Jacke, er hat es eilig, er hat andere Dinge im Kopf, aber warum sehe ich ihm nach, sehe ich hin? Weil er jung und getrieben und unversehrt und vor allem voller Vorhaben, voller Zukunft ist und seinen Körper verschwendet, gedankenlos, klar, während ich ⦠was? angeschlagen, mit Knieschmerzen neuerdings, überhaupt angeschlagen und kurz
vor der Scheidung und diesbezüglich keineswegs mit zuversichtlichem inneren Glockenläuten, sondern schon eher angstgekrümmt bin ⦠und denke an sehr weit zurückliegende Zeiten, wo ich, jung, wenn auch miÃgestimmt, weil möglicherweise mit Realisierungszweifeln oder aus Geldgründen niedergedrückt ebenso dahinlief wie er und etwas überstreifte im Laufen und keinen Gedanken an den Körper verschwendete, weil dieser jung und kraftvoll war und jedenfalls keinen Gedanken wert.
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Gestern bei Robert Müller in Villiers-le-Bel gewesen, im Regionalexpress durch die Vorstädte, Banlieue und dann in dem inzwischen schon fast bis zum Grad der Verfallenheit verkümmerten alten Notariatshaus Nähe der alten Kirche gelandet. Man tritt durch die groÃe Kutschertür in den düsteren Vorraum, sieht durch die trübe Glastür in den Garten, das heiÃt erst in den Vorhof zum riesigen, mit diversen Treibhäusern, einstigen Eisenateliers, besiedelten Park mit der riesigen Zeder, die unter Naturschutz steht. Im Vorhof der Riesenschnauzer, winselnd und scharrend um Einlaà bettelnd. Robert hatte mich angerufen, ich solle mir eine Anzahl Zeichnungen aussuchen, er will den Nachlaà nicht einem Archiv oder Museum übermachen. Wir saÃen erst an dem langen Tisch wie eh und je, er kam mir in der Erinnerung viel länger vor, wie übrigens auch Miriam und Robert kleiner geworden sind, altershalber. Ouzo und NüÃchen zum Apéro und dann gleich nebenan mittagessen beim Portugiesen, der anscheinend nur noch auf Wunsch und Bestellung warme Speisen auftischt, wir tafelten denn gewissermaÃen in einer privaten Dépendance. Danach in einem der gespenstigen Werkstätten- oder Studierzimmer des immer baufälligeren verbleichten Hauses das Aussuchen der Zeichnungen, wunderbar, Robert hat jetzt einen Altersbauch, er
sieht seinen koboldisch-mythologischen Zeichnungen immer ähnlicher, er hat sich anscheinend in die eigene Kunstfigur verwandelt, nur Miriam ist wie immer, eine alte Ausgabe der einstigen New Yorker Schönen russischer Herkunft, sie ist bloà merkwürdig aufsässig im Gespräch, nicht gerade meckernd, aber unerschöpflich im Einwändevorbringen, merkwürdig lebhaft geworden. Nach einer Weile wurde der riesige Hund hereingelassen, er hat
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