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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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du hängst an ihren Lippen und Bildern, die betörend sind wie Sirenenmusik und erschreckend wie das Haupt der Gorgo, keiner Geschichte warst du so atemlos hingegeben wie derjenigen, die dir dein Traum erfindet, keiner so nah, es ist Einkehr beim Allerheiligsten und Allerschrecklichsten, wie du weißt, die ursprünglichste Form des Fabulierens, Geburt der Poesie aus deinem tiefsten Bade, ich hänge am Mund meiner Träume wie der Säugling an der Mut
terbrust, kann mich nicht sättigen, das Erwachen ist schmerzlich, die grausamste Ausweisung; oder tief verwirrend, es liegt noch eine Duftspur in deinen Sinnen, ein Abendrot vom Verlorenen, Nachglanz; es kann sein, du findest noch einmal zurück, der Traum sei dir gnädig, dann ist es ein Staunen, aber viel öfter verblaßt der Ton, dann bleibst du ausgesperrt mit dem Gefühl tiefen Entbehrens.
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    Wie bringe ich den Glücksschimmer, das Lachen in den Lichtkringeln unterm Laubdach in meine Residenz? Darum bin ich nach Frankreich gekommen, um das Glück auf Erden kennen und leben zu lernen – ist denn nicht die ganze französische Malerei dieser Thematik: des paradis terrestre gewidmet? Die Impressionisten bis Matisse und Bonnard, und schon viel früher begann's, schon bei Lorrain und Poussin, und führte über die galanten Schäferszenen, über Chardin zu Courbet und Corot, früher begann's und dauerte fort, eine gewaltige Arbeit am Glück, Vorstellungsarbeit, Traumleistung, alle haben sie den Paradiestraum gemalt, und er soll hier auf Erden stattfinden und heute noch wirklich werden, bei Rousseau begann's und wurde mit Waffen erstritten, zwischendurch.
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    Und wir waren vor kurzem noch in Napoli .
    Auf Capri zwischen den Mäuerchen die Insel durchschritten, wie vor 30 Jahren auf Ischia (ein Inselgarten). Die Rückfahrt auf dem Dampfer war südliche Volksszene, lagerndes Volk und dieses leibliche Kommunizieren und Flaschenreichen. Die Stadt war einfach pathetisch, ich meine die Lebensäußerung ist pathetisch, und wie die Gassen zusammenrücken und es aus den Löchern und Schlünden der Fenster und Geschäfte und Lädelchen züngelt und zündet, nicht nur
die Wäsche kriecht da zum Vorschein, das Hausleben setzt sich einfach auf die Straße hinaus fort und zwar überzeugungssüchtig, lebensschlau. Die Wohnungen zu ebener Erde öffnen sich auf die Straße, drinnen Bett und Fernseher, Schlafende, Essende, Tafelnde, eine bügelnde Frau, alles einsichtig, während ein Stuhl oder gar Tisch draußen auf der Straße aufgestellt ist und dazu ein Motorrad, es war, glaube ich im spanischen Viertel, spät am Abend, als wir durch dermaßen in Beschlag genommene Gassen spazierten. Das Meer gibt den Hafenstädten diesen Stich der Vorläufigkeit, diesen Melancholiewert, der die Lebenslust entfacht und hochsteigert. Das Essen eine Angelegenheit von Opernausmaßen.
    Als wir in einem Motoscafo, einem Schnellboot, hinüberflitzten (in einer Sitzordnung wie im Flugzeug) und manchmal draußen auf dem Heck im Fahrtwind standen, die gepflügte Wasserstraße vor Augen, die wir gischtend zurückließen, kam etwas von damals, von Ischia, wieder in mir auf und empor. Und drinnen beim Anblick einer Matrone, die ihr breitflächiges Gesicht wie eine angeschnittene Frucht herhielt, konnte ich mich durch eine Ritze hindurch an die Teilnahmslust von vor über 30 Jahren zurückerinnern, die ein solches Gesicht damals in mir ausgelöst hatte: an dieses Aufstaunen, Erwarten, Wittern und wie ich mich dabei frei fühlte, dem auf mich wartenden Leben gegenüber geöffnet. Und ich dachte, daß ich heutzutage fast nie mehr vergleichbar stark empfinde. Damals war ich das reine Wachs, alles prägte sich mir ein, ich war eine Wachsseele.
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    Als ich eben von einem Nachmittagsschlaf erwachte, drang ein Schwall Licht, ein Guß Sonnenschein durch die Dachluke, und ich sah mich auf einem Mäuerchen, war's Ischia, damals? oder unter Gartenbäumen hingestreckt, sah mich
in jener fernen Jugend liegen, es lag Weite, wenn nicht Meeresweite in dieser Luft, und es schwang Anfang darin, und in all dem war Glück; und ich dachte und fragte mich: Was war dieses Glück? Damals? Das Glück des jungen Körpers auf einer Hafenmauer hingestreckt oder auf der Mauer eines Gartens, der überm Meer oder in einem meerartigen Licht lag, die Augen geschlossen,

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