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Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Die Belagerung der Welt - Romanjahre

Titel: Die Belagerung der Welt - Romanjahre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suhrkamp-Verlag <Berlin>
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Regel eine gute Weile, aber offenbar hat sich sein steifes Ich nicht sättigen können, mehr, mehr haben wollen, und dann sitzen sie wieder und plaudern, und nach einer Weile beginnt sie ihn wiederum vorzubereiten, aber nun wehrt er ab, er notiert sich ihre Telefonnummer privat, er zahlt und geht jetzt und geht in seltener Eintracht mit sich und allem die abendlichen Straßen entlang, wo jetzt die Metzgereien und Gemüse- und anderen Freßläden ihren Schwall Licht und die prallen Angebote im Licht auf die Straße entlassen, er, ein alleinstehender Mann in diesen versöhnlichen Straßen von Paris, in der Schönheit, der Schönheit wegen, von der auch das französische Liebemachen ein Teil ist, lebt er
ja hier, um dieser anderen Ernährung willen, um nicht aus dem Leben zu fallen wie in Helvetien oder Deutschland, um in der großen schönen Prozession drinzubleiben, in dem was er für sich Kultur nennt, hartnäckig immer noch so nennt. Das Wort Lebenskunst mag er nicht sonderlich, ist ihm zu schnippisch, snobistisch, zu wenig prall und direkt, er muß es schon Kultur nennen. Alle Straßen entflimmern nach oben in diesem abendlich illuminierten Himmel, entflimmern mit den herrlichen Architekturkörpern, und unten ist das Trottoir für den Menschen bereitgestellt, und immer die Aussichten , die die Straßen eröffnen, ob sie auf eine Opéra oder sonst einen sternförmigen Platz weisen, das steinerne Kontinuum.
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    Canetti. Eine große, wohl väterliche Instanz. Das Erfindergesicht oder Gesicht eines Wissenschaftlers, der struppige kurze Schnurrbart, die buschige Mähne, die zerfurchte Stirn, der forschende und manchmal zum Fürchten konzentrierte, aufs Gegenüber konzentrierte Blick muß vage mit dem Bild meines Vaters, Erfindervaters, zu tun haben. Übrigens beide Chemiker und Heiler im Sinne, nun, von Teufelsaustreiber. Irgendwie gehört Canetti wohl (für mich) in die Vaterfamilie (wo sich in weiterer Linie noch ein Albert Schweitzer und Einstein situieren oder unterbringen ließen), es handelt sich um eine möglicherweise vom Wunschdenken oder von sentimentaler Rückschau verklärte Optik. Canettis Geistigkeit war mir sehr lange eine Schutzmacht, ich verehrte in ihm ein Weltwissen, Menschen-, Menschheitswissen, ich könnte sagen einen universalen Überblick, das Menschheitsgedächtnis, insofern etwas Magushaftes oder etwas vom großen Medizinmann, also Zauberer-Priester (der auch die Macht hat, von Schuld zu entbinden). Bei Canetti fühlte ich mich in den mir unerreichbaren großen
Zusammenhängen wenn nicht untergebracht, so doch toleriert. Es war eine Art Geborgenheit, sein Verständnis begriff mich ein in ein Universum. Und durch seine Bejahung meiner Suche und Sache und Existenz genoß ich Ermutigung, Auszeichnung. Hinzu kam die Güte. Ich fraß die Güte. Seine Unbestechlichkeit prüfte mich, ich bestand die Prüfung. Vatereigenschaften.
    Nicht zu vergessen, daß er wie der eigene Vater Fremdling war, Emigrant, in mehreren Ländern zu Hause, und durch sein Wissen und die Kenntnisse in allen Winkeln, in jeder Dimension der Welt. Und wie mein Vater war er ein Forscher im Alleingang, Selbstdenker, Freidenker, also beinahe Dilettant im Verhältnis zu den Inhabern des zünftigen Fachwissens. Meine eigene Unbürgerlichkeit und Nichtzugehörigkeit oder Unangepaßtheit, mein Außenseitertum stärkte und bekräftigte sich an dem seinen, auch an seiner Stellung als Geheimtip, der er in den sechziger Jahren noch war. Später wuchs sein Ansehen, und ich sah seinen Aufstieg oder erlebte ihn mit. Nicht zu verhehlen: seine hohe Einschätzung der eigenen Sache, sein Selbstbewußtsein, Sendungsbewußtsein? seinen höchsten Anspruch, sein unbestechliches Werturteil, also die Selbstgewissheit als Lebenskonstante.
    Soll ich sagen, daß mein elitärer Anspruch sich in seiner Gegenwart bestätigt sehen durfte?
    Habe ich Canetti vergöttert? Unsere Verbindung fiel hauptsächlich in meine sieben mageren Jahre zwischen Canto und Im Hause enden die Geschichten und darüber hinaus bis zu Stolz . Ich war Kunstkritiker die längste Zeit und insofern eine helvetische Figur und ziemlich abgeschlossen vom deutschen Literaturbetrieb, vom schweizerischen ebenso, ich distanzierte mich im Sinne von meinem Diskurs in der Enge ; wenn schon Anerkennung, so wartete ich auf die der Welt , nicht

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