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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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weniger trostlos aus als am Tag zuvor. Sie hatten praktisch alles verloren, und falls das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, wäre das nur eine weitere Unannehmlichkeit, die sie auch noch zu ertragen bereit waren. Daraufkam es dann nicht mehr an.
    Doch Wes glaubte an ihr Comeback.
    »Sie kriegen jetzt keinen Zeitplan, Huffy«, sagte er. »Kommen Sie in einem Monat wieder, dann reden wir. Im Augenblick muss ich mich erst mal um die Mandanten kümmern, die wir monatelang links liegen gelassen haben.«
    »Was soll ich Kirkhead sagen?«
    »Ganz einfach. Falls er nur ein bisschen mehr Druck macht, melden wir die Insolvenz an. Dann sieht er gar nichts und kann sich mit unseren Kreditverträgen den Hintern abwischen. Falls er sich beruhigt und uns etwas Zeit lässt, bekommt er sein Geld.«
    »Ich werde es ausrichten.«
     
    Mary Grace und Tip Shepard saßen in Babe's Coffeeshop an der Main Street in einer Nische nahe des Frontfensters und sprachen über die Entwicklung der Stadt. Sie erinnerte sich an eine Zeit, als auf der Main Street viel los war. Heute herrschte weniger Betrieb, auch wenn der Einzelhandel irgendwie überlebt hatte, weil Bowmore für die großen Discounter zu klein war. In ihrer Jugendzeit hatte man hier kaum einen Parkplatz gefunden. Jetzt war die Hälfte der Schaufenster zugenagelt, und in den übrigen Läden gingen die Geschäfte schlecht.
    Ein Teenager mit Schürze brachte zwei Becher mit schwarzem Kaffee und verschwand, ohne etwas zu sagen. Während Mary Grace ihren Kaffee zuckerte, betrachtete Shepard sie aufmerksam. »Sicher, dass man den Kaffee trinken kann?«
    »Ja. Es gibt eine Verordnung der Stadt, die die Verwendung des Leitungswassers in Lokalen verbietet. Ich kenne Babe seit dreißig Jahren. Sie war eine der Ersten, die ihr Wasser gekauft hat.«
    Shepard nippte vorsichtig und rückte dann sein Aufnahmegerät und seinen Laptop zurecht.
    »Warum haben Sie diese Fälle übernommen?«
    Lächelnd schüttelte Mary Grace den Kopf und rührte ihren Kaffee um. »Das habe ich mich selbst tausendmal gefragt, aber eigentlich ist die Antwort ganz einfach. Pete, Jeannettes verstorbener Mann, hat für meinen Onkel gearbeitet. Etliche der Toten kannte ich persönlich. Dies ist eine Kleinstadt, und wenn plötzlich so viele Menschen erkranken, muss es einen speziellen Grund dafür geben. Die Krebsfälle kamen in Wellen, es gab so viel Leid. Nachdem ich an den ersten drei von vier Beerdigungen teilgenommen hatte, wurde mir klar, dass jemand etwas tun musste.«
    Shepard machte sich Notizen.
    »Krane war hier der größte Arbeitgeber«, fuhr sie fort. »Jahrelang schon gab es Gerüchte über die illegale Entsorgung von Giftmüll auf dem Werksgelände. Viele der Arbeiter wurden krank. Als ich nach dem zweiten Collegejahr heimkam, redeten die Leute über die indiskutable Qualität des Wassers. Wir lebten anderthalb Kilometer außerhalb der Stadt, und da wir einen eigenen Brunnen hatten, gab es für uns kein Problem. Aber in der Stadt wurde es immer schlimmer. Im Lauf der Jahre nahmen die Gerüchte über den Umweltskandal immer mehr zu, und schließlich hielten alle sie für wahr. Zu dieser Zeit war das Wasser nur noch eine unvorstellbar stinkende Brühe. Dann ging es los - Leberkrebs, Nierenkrebs, Harnröhrenkrebs, Blasenkrebs, jede Menge Leukämiefälle. Wenn ich sonntags mit meinen Eltern die Kirche besuchte, sah ich vier glänzende kahle Schädel. Chemotherapie. Ich kam mir wie in einem Gruselfilm vor.«
    »Haben Sie es je bereut, die Fälle übernommen zu haben?«
    »Nein, nie. Wir haben viel verloren, doch das Gleiche gilt für meine Heimatstadt. Wes und ich sind noch jung, wir werden überleben. Aber viele der Einheimischen sind entweder tot oder todkrank.«
    »Denken Sie an das Geld?«
    »Welches Geld? Das Berufungsverfahren wird anderthalb Jahre dauern, was mir im Moment wie eine Ewigkeit vorkommt. Trotzdem, man muss die Zukunft im Auge behalten.«
    »Was meinen Sie?«
    »In fünf Jahren ist die Gegend dekontaminiert. Dann ist die Sauerei für immer verschwunden, niemand wird mehr erkranken. Es wird einen Vergleich geben, einen spektakulären Vergleich. Krane Chemical und seine Versicherungen müssen endlich gezwungen werden, tief in die Tasche zu greifen und jene Familien zu entschädigen, deren Leben sie zerstört haben. Jeder wird eine Entschädigung bekommen.«
    »Auch die Anwälte.«
    »Selbstverständlich. Ohne uns würde Krane hier weiter Pillamar 5 produzieren und die Abfallprodukte in den Gruben

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