Die Berufung
Direktmailings. Wir drehen Ihre Wahlwerbespots, engagieren Berater, Demoskopen und so weiter. Nach der Bekanntgabe überfluten wir den Bezirk mit Direktmailings. In der ersten Welle kommen die netten Themen - Sie, Ihre Familie, Ihre Kirche, die Rotarier, die Pfadfinder. In der zweiten Welle gehen wir die richterlichen Entscheidungen von McCarthy an - hart, aber ehrlich. Und Sie betreiben Wahlkampf wie ein Wahnsinniger. Jeden Tag zehn Reden, überall im ganzen Bezirk. Wir fliegen Sie im Privatjet von einem Termin zum nächsten. Die Richterin wird gar nicht wissen, an welchem Ende sie anfangen soll. Sie wird völlig überrollt sein. Am dreißigsten Juni werden Sie berichten können, dass Sie eine Million Dollar auf Ihrem Wahlkampfkonto haben. McCarthy hat bis dahin noch keine zehntausend. Die Prozessanwälte werden versuchen, ein wenig Geld für sie zusammenzukratzen, aber das wird kaum mehr sein als ein Tropfen auf dem heißen Stein. Nach Labor Day schlagen wir dann mit den Fernsehspots, zu. Sie sei zu milde mit Verbrechern. Mit Schwulen. Mit Waffen. Sie sei gegen die Todesstrafe. Das wird ihr den Rest geben.«
Die Eisbecher kamen, und sie fingen an zu essen. »Was wird das alles kosten?«, fragte Fisk.
»Drei Millionen Dollar.«
»Drei Millionen! Für ein Amt am Supreme Court?«
»Ja. Wenn Sie gewinnen wollen.«
»Und Sie können wirklich so viel Geld auftreiben?«
»Judicial Vision hat bereits verbindliche Zusagen. Und wir bekommen mehr, wenn wir mehr brauchen.«
Fisk nahm einen Bissen Eis in den Mund und fragte sich zum ersten Mal, was diese Organisation dazu trieb, ein Vermögen auszugeben, nur um eine Richterin aus dem Amt zu jagen, die kaum Einfluss auf die aktuellen gesellschaftlichen Reizthemen hatte. Die Gerichte von Mississippi hatten selten mit Fällen zu tun, in denen es um Abtreibung, Schwulenrechte, Waffen oder Immigration ging. Mit der Todesstrafe hatten sie ständig zu tun, und bislang hatte noch niemand von ihnen erwartet, sie abzuschaffen. Die gewichtigeren Fälle wurden immer am Federal Court verhandelt.
Möglicherweise spielten die gesellschaftlichen Themen wirklich eine Rolle, aber hier war noch irgendetwas anderes im Gange. »Es geht um Haftung, nicht wahr?«, mutmaßte Fisk.
»Es ist ein ganzes Paket, Ron, mit mehreren Elementen. Aber, in der Tat, die Begrenzung von Haftungsansprüchen ist ein vorrangiges Ziel für uns und die uns angeschlossenen Gruppen. Wir müssen für dieses Rennen ein Pferd finden, auf das wir setzen können. Wir hoffen, dass Sie das sind - wenn nicht, gehen wir zum nächsten Kollegen. Und wenn wir unseren Mann gefunden haben, erwarten wir überzeugendes Engagement für eine Reform des Schadenersatzrechts. Die Prozessanwälte müssen gestoppt werden.«
Doreen setzte an diesem Abend spät noch einen koffeinfreien Kaffee auf. Die Kinder schliefen schon, die Eltern nicht. Vermutlich würden sie auch noch eine ganze Weile wach sein. Ron hatte seine Frau vom Büro aus angerufen, nachdem sich Mr Zachary verabschiedet hatte. Seitdem hatten sie an nichts anderes mehr gedacht als an den Supreme Court.
Erster Punkt: Sie hatten drei Schulkinder. Der Supreme Court war in Jackson, eine Stunde entfernt, und die Familie würde von Brookhaven nicht wegziehen. Ron meinte, dass er höchstens zweimal die Woche in Jackson übernachten musste. Er konnte pendeln, die Strecke war unproblematisch. Insgeheim fand er die Vorstellung, ein paar Abende die Woche aus Brookhaven zu entkommen, gar nicht so unattraktiv. Und auch Doreen fand die Idee, das Haus gelegentlich für sich zu haben, durchaus verlockend.
Zweiter Punkt: Der Wahlkampf. Wie sollte er den Politiker geben und gleichzeitig weiterhin seiner Arbeit als Rechtsbeistand nachgehen? Seine Kanzlei würde ihn sicherlich unterstützen, aber es würde nicht einfach werden. Andererseits, kein Erfolg ohne Mühen.
Dritter Punkt: Das Geld. Wobei es da nicht viel zu überlegen gab. Der Gehaltssprung wäre deutlich. Sein Nettoeinkommen in der Kanzlei stieg jedes Jahr leicht an, wobei es keine Aussichten auf größere Prämienzahlungen gab. Die Gehälter der Richter in Mississippi erhöhten sich von Amtszeit zu Amtszeit automatisch. Außerdem bot der Staat eine bessere Renten- und Krankenversicherung.
Vierter Punkt: Seine Karriere. Nachdem er vierzehn Jahre lang dasselbe getan hatte, ohne dass ein Ende absehbar gewesen wäre, fand er die Aussicht auf einen plötzlichen Karrieresprung geradezu umwerfend. Allein der Gedanke, aus der anonymen
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