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Die Berufung

Titel: Die Berufung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Grisham
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anderen und ...«
    »Ich bin zuständig für diese Leute. Das ist mein Job. Ihr Job ist es, hinauszugehen und die Wähler von sich zu überzeugen. Die Wähler, Ron, Doreen, werden diese Leute nie zu Gesicht bekommen. Ebenso wenig wie mich, Gott sei Dank. Sie sind der Kandidat, Ron. Ihr Gesicht, Ihre Ideen, Ihre Jugend, Ihr Enthusiasmus werden die Menschen dort draußen überzeugen. Nicht ich oder irgendwelche Stabsmitglieder.«
    Allmählich wurde trotz des Kaffees die Müdigkeit übermächtig, und die Unterhaltung erstarb. Ron und Doreen sammelten ihre dicken Notizen ein und verabschiedeten sich. Die Heimfahrt verlief schweigend, was aber mehr mit Schlafbedürfnis als mit Unbehagen zu tun hatte. Als sie die menschenleere Innenstadt von Bowmore durchführen, waren sie schon wieder ganz aufgeregt angesichts der vielversprechenden Zukunft, die auf sie beide, auf Ron wartete.
    Ron, den ehrenwerten Ronald M. Fisk, Richter am Supreme Court des Bundesstaates Mississippi.
16
    Als Richterin McCarthy am späten Samstagvormittag in ihr Büro kam, fand sie es verwaist vor. Während der Computer hochfuhr, ging sie ihre Post durch. Online checkte sie ihre offizielle Mailbox, die nur die übliche gerichtsinterne Korrespondenz enthielt. Unter ihrer privaten E-Mail-Adresse fand sie eine Nachricht ihrer Tochter, die ihr bestätigte, dass die Einladung zum Essen heute Abend bei ihr zu Hause in Biloxi stand. Außerdem Mails von zwei männlichen Absendern, einem ehemaligen Liebhaber und einem, der es vielleicht noch werden würde.
    Sie trug Jeans, Sneakers und einen braunen Tweedblazer, den sie vor vielen Jahren von ihrem Mann bekommen hatte. Am Wochenende war auch am Supreme Court legere Kleidung erlaubt, da ohnehin höchstens Referendare und Assistenten da waren.
    Wie aus dem Nichts tauchte plötzlich Paul auf. »Guten Morgen«, begrüßte er sie.
    »Was machen Sie denn hier?«, fragte sie.
    »Das Übliche. Schriftsätze lesen.«
    »Irgendwas Interessantes dabei?«
    »Nein.« Er ließ eine Zeitschrift auf ihren Schreibtisch segeln. »Aber das hier wird auf uns zukommen. Könnte spannend werden.«
    »Was ist das?«
    »Das große Urteil aus dem Krebs-County. Bowmore. Einundvierzig Millionen Dollar.«
    »Ach ja«, sagte sie und nahm die Zeitschrift. Jeder Anwalt und jeder Richter im Staat behauptete von sich, jemanden zu kennen, der etwas über das Baker-Urteil wusste. Die Berichterstattung war ausführlich gewesen, schon während des Prozesses, vor allem aber danach. Paul und die anderen Mitarbeiter im Büro diskutierten häufig darüber. Sie verfolgten alle Berichte und freuten sich schon auf den Berufungsschriftsatz, der in ein paar Monaten eintreffen würde.
    Der Artikel beleuchtete den Giftmüllskandal und das anschließende Verfahren von allen Seiten und war reich bebildert. Fotos zeigten Bowmore als trostloses Kaff; Mary Grace Payton, wie sie durch einen Stacheldrahtzaun auf die Chemiefabrik blickte, wie sie mit Jeannette Baker unter einem Baum im Schatten saß, beide mit Wasserflaschen in der Hand; zwanzig mutmaßliche Opfer - Schwarze, Weiße, Kinder, Alte. Mary Grace war die zentrale Figur des Artikels, und ihre Bedeutung stieg von Absatz zu Absatz. Bowmore war ihr Fall, ihre Sache. Es war ihre Stadt, und es waren ihre Freunde, die starben.
    Sheila las den Artikel zu Ende und hatte plötzlich die Nase voll vom Büro. Die Fahrt nach Biloxi würde drei Stunden dauern. Sie verließ das Gericht, ohne dass ihr noch irgendjemand über den Weg lief, und fuhr in aller Ruhe los Richtung Süden. In Hattiesburg hielt sie, um zu tanken, und wandte sich dann einer Laune folgend nach Osten, Richtung Krebs-County, das plötzlich ihre Neugier geweckt hatte.
     
    Wenn sie ein Verfahren leitete, besuchte Richterin McCarthy häufig den Ort des Geschehens, um sich einen persönlichen Eindruck zu verschaffen. Die dubiosen Umstände einer Tankerkollision auf einer viel befahrenen Brücke waren ihr wesentlich klarer, nachdem sie eine Stunde auf dieser Brücke verbracht hatte, allein, am späten Abend, genau zum Zeitpunkt des Unfalls. In einem Mordfall wies sie die Berufung des Angeklagten auf Notwehr zurück, nachdem sie den Fundort der Leiche, eine schmale, finstere Gasse gesehen hatte. Aus dem Fenster eines Lagerhauses war Licht genau auf die Stelle gefallen. Während des Prozesses um eine widerrechtliche Tötung an einem Eisenbahnübergang war sie Tag und Nacht die Straße abgefahren und hatte zweimal wegen eines Zuges halten müssen. Am Ende war

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