Die Berufung
Overall gestrichen, und Clete wurde in seinem besten braunen Anzug, einem gestärkten weißen Hemd und einer perfekt gebundenen Seidenkrawatte mit Paisleymuster fotografiert. An seinem langen, grau werdenden Haar saß jede Strähne.
Das Ganze dauerte nicht einmal eine Stunde, und als er das Gebäude als freier Mann verließ, stellte er zu seiner großen Freude fest, dass ihm die meisten Reporter gefolgt waren. Auf dem Bürgersteig stehend, beantworte er so lange ihre Fragen, bis sie irgendwann genug hatten.
In den Abendnachrichten war er der Aufmacher, und es wurde in aller Ausführlichkeit über die Ankündigung seiner Kandidatur berichtet. In den Spätnachrichten wurden die Beiträge wiederholt. Clete sah sich das alles auf einem Breitwandfernseher in einer Biker-Bar im Süden von Jackson an, wo er die ganze Nacht verbrachte und jedem einen ausgab, der es durch die Tür schaffte. Die Rechnung belief sich auf über tausendvierhundert Dollar. Er beglich sie vom Spesenkonto für seinen Wahlkampf.
Die Motorradfahrer waren begeistert und versprachen, ihre Leute zusammenzutrommeln und ihn zu wählen. Natürlich war kein Einziger von ihnen registrierter Wähler. Als die Bar zumachte, ließ sich Clete in dem knallroten Cadillac Escalade, der für eintausend Dollar im Monat für seinen Wahlkampf geleast worden war, nach Hause fahren. Am Steuer saß einer seiner beiden Leibwächter, der Weiße, ein junger Mann, der nur geringfügig nüchterner war als sein Chef. Sie schafften es bis zu ihrem Motel, ohne dass es zu einer weiteren Verhaftung kam.
Im Büro der Mississippi Trial Advocates in der State Street traf sich Barbara Mellinger, Geschäftsführerin und Cheflobbyistin, mit ihrem Assistenten Skip Sanchez auf einen Kaffee. Während sie die erste Tasse in der Hand hielten, überflogen sie die Morgenzeitungen. Vor ihnen lagen vier Tageszeitungen aus dem südlichen Bezirk - Biloxi, Hattiesburg, Laurel und Natchez -, und alle vier hatten Mr Coleys Gesicht auf die Titelseite gesetzt. Auch bei der Zeitung aus Jackson war er der Aufmacher. Die Times-Picayune aus New Orleans wurde an der gesamten Küste gelesen und hatte auf der vierten Seite einen Beitrag der Associated Press übernommen, der ebenfalls ein Foto (mit Handschellen) enthielt.
»Vielleicht sollten wir unseren Kandidaten in Zukunft raten, sich bei der Bekanntgabe ihrer Kandidatur verhaften zu lassen«, meinte Barbara trocken und ohne jeden Anflug von Humor. Sie hatte seit vierundzwanzig Stunden nicht mehr gelächelt. Als ihre Tasse leer war, holte sie sich sofort ihren zweiten Kaffee.
»Wer zum Teufel ist Clete Coley?«, fragte Sanchez, der auf die Fotos des Mannes starrte. Jackson und Biloxi hatten das Polizeifoto abgedruckt - der Mann sah aus, als würde er erst zuschlagen und dann fragen.
»Gestern Abend habe ich Walter in Natchez angerufen«, sagte sie. »Er hat mir erzählt, dass Coley schon ein paar Jahre dort wohnt. Er scheint in dubiose Geschäfte verwickelt zu sein, ist aber klug genug, sich nicht erwischen zu lassen. Walter meint sich erinnern zu können, dass Coley früher mal mit dem Öl- und Gasgeschäft zu tun hatte. Außerdem war da was mit geplatzten Geschäftskrediten. Jetzt hält er sich für einen Profispieler. In der Nähe des Gerichtsgebäudes hat ihn noch nie jemand gesehen. Er ist völlig unbekannt.«
»Jetzt nicht mehr.«
Barbara stand auf und ging langsam in ihrem Büro auf und ab. Sie schenkte sich einen weiteren Kaffee ein, dann setzte sie sich und nahm sich wieder die Zeitungen vor.
»Er hat es nicht auf eine Reform des Schadenersatzrechts abgesehen«, sagte Skip, aber seiner Stimme waren Zweifel anzuhören. »Ich glaube nicht, dass er von der Wirtschaft finanziert wird, das passt einfach nicht. Für einen ernst zu nehmenden Wahlkampf hat er zu viele Leichen im Keller. Mindestens eine Verurteilung wegen Trunkenheit am Steuer und zwei Scheidungen.«
»Ich bin derselben Meinung, aber wenn er noch nie etwas damit zu tun hatte, warum fängt er dann plötzlich an, sich lautstark wegen der Todesstrafe aufzuregen? Woher kommt so viel Engagement? Außerdem war seine Show gestern viel zu gut organisiert. Er hat Sponsoren. Wer sind sie?«
»Spielt das denn eine Rolle? Sheila McCarthy ist ihm haushoch überlegen. Wir sollten froh sein, dass er so ist, wie er ist - ein Clown, der, wie wir annehmen, nicht vom Commerce Council und ein paar Großunternehmen finanziert wird. Warum machen wir uns überhaupt Sorgen?«
»Weil wir Strafverteidiger
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