Die Berufung
Ereignis war positiv. Die beiden anderen nicht.
Die gute Nachricht war, dass ein junger Anwalt aus der kleinen Stadt Bogue Chitto vorbeischaute und mit Wes ins Geschäft kam. Dem Anwalt, der allein arbeitete und keinerlei Erfahrung mit Personenschäden hatte, war es irgendwie gelungen, die Hinterbliebenen eines Holzfällers zu vertreten, der bei einem grauenhaften Unfall auf der Interstate 55 in der Nähe der Staatsgrenze zu Louisiana ums Leben gekommen war. Der Highway-Polizei zufolge war der Unfall durch den rücksichtslosen Fahrer eines Sattelschleppers, der einer großen Firma gehörte, verursacht worden. Eine Augenzeugin hatte zu Protokoll gegeben, dass der Sattelschlepper sie überholt habe, während sie »etwa« hundertzehn Stundenkilometer gefahren sei. Der Anwalt hatte einen Vertrag, der ihm im Erfolgsfall dreißig Prozent der erstrittenen Summe garantierte. Er und Wes vereinbarten, dass jeder eine Hälfte des Honorars bekam. Der Holzfäller war sechsunddreißig Jahre alt gewesen und hatte etwa vierzigtausend Dollar im Jahr verdient. Die Rechnung war ganz einfach. Ein Vergleich in Höhe von einer Million Dollar war durchaus realistisch. In weniger als einer Stunde setzte Wes eine Klageschrift auf, die sofort bei Gericht eingereicht werden konnte. Der Fall war vor allem deshalb so erfreulich, weil der junge Anwalt aufgrund der Berichterstattung über ihren letzten Fall zu den Paytons gekommen war. Das Urteil im Fall Baker hatte endlich für einen lohnenden Mandanten gesorgt.
Deprimierend war, dass Kranes Berufungsschriftsatz eintraf. Er umfasste einhundertzwei Seiten - doppelt so viele wie erlaubt - und machte den Eindruck, als wäre er von vorn bis hinten perfekt recherchiert und von einem ganzen Team unglaublich intelligenter Anwälte geschrieben worden. Der Schriftsatz war zu lang und kam überdies zwei Monate zu spät, aber das Gericht hatte Zugeständnisse gemacht. Jared Kurtin und seine Männer hatten sehr überzeugende Argumente für mehr Zeit und mehr Seiten vorgebracht. Schließlich handelte es sich ja nicht um einen Routinefall.
Mary Grace blieben sechzig Tage, um zu antworten. Nachdem der Rest der Kanzlei den Schriftsatz eine Weile angestarrt hatte, schleppte sie ihn zu ihrem Schreibtisch, um ihn zum ersten Mal zu lesen. Krane zählte insgesamt vierundzwanzig Verfahrensfehler auf und war der Meinung, jeder einzelne davon würde bei einer Berufung korrigiert werden. Es fing eigentlich ganz harmlos an, mit einer ausführlichen Auflistung aller Kommentare und Entscheidungen seitens Richter Harrison, die angeblich ein Beweis für dessen starke Voreingenommenheit gegenüber der Beklagten waren. Danach wurde die Auswahl der Geschworenen moniert. Der Schriftsatz kritisierte die Sachverständigen, die im Namen von Jeannette Baker vor Gericht ausgesagt hatten; die Toxikologen, die die rekordverdächtigen Werte von BCL, Cartolyx und Aklar im Trinkwasser von Bowmore bestätigten; den Pathologen, der die hochkarzinogenen Eigenschaften dieser Chemikalien beschrieb; den Mediziner, der die ungewöhnliche Häufung von Krebserkrankungen in und um Bowmore erläuterte; den Geologen, der den Giftmüll durch das Erdreich hindurch bis in die Grundwasserschicht unter dem Brunnen der Stadt nachwies; die Bohrfirma, die die Testbohrungen durchführte; die Ärzte, die sowohl Chad als auch Pete Baker obduzierten; den Wissenschaftler mit Spezialgebiet Pestizide, der grauenhafte Dinge über Pillamar 5 zu berichten hatte; und den Sachverständigen, dessen Gutachten entscheidend gewesen war, jenen Mediziner, der BCL und Cartolyx mit den Krebszellen in den Leichen in Zusammenhang brachte. Die Paytons hatten vierzehn Sachverständige aussagen lassen, und jeder Einzelne von ihnen wurde angegriffen und für unqualifiziert erklärt. Drei wurden als Scharlatane bezeichnet. Richter Harrison hätte ihre Aussage nie zulassen dürfen. Ihre Gutachten, die nach langwierigen Auseinandersetzungen als Beweismittel zugelassen worden waren, wurden auseinandergenommen, mit geschliffenen Formulierungen verworfen und als »Pseudowissenschaft« abgetan. Das Urteil selbst sei entgegen der überwältigenden Beweise gefällt worden und ein eindeutiges Indiz für die unzulässigen Sympathien seitens der Geschworenen. Mit harten, aber wohlgesetzten Worten wurde der Strafschadenersatz kritisiert. Die Klägerin habe nicht beweisen können, dass Krane das Trinkwasser durch grobe Fahrlässigkeit oder Vorsatz verunreinigt habe. Der Schriftsatz endete mit
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