Die Beschleunigung der Angst
konnte, diesen
Anblick im Mondschein mit Karla zu genießen, verwarf er die Idee, sich dort zu
verstecken. Das Turmzimmer war lediglich ein etwa acht Quadratmeter großer, achteckiger
Raum, der keinen anderen Ein- oder Ausgang bot als die gewundene Treppe. Dort
würden sie nicht nur in der Falle sitzen, vielmehr säßen sie dort auf dem
Präsentierteller. Und für Romantik hatte Daniel im Moment auch herzlich wenig
Zeit.
Doch die Treppe zum
Turmzimmer brachte ihn auf eine Idee. Er nahm Karla die Taschenlampe aus der
Hand und leuchtete den Flur an der Eingangshalle entlang.
»Wo gehen wir hin?«, fragte
Karla.
»An das andere Ende des
Flurs. Dort sind mehrere kleine Zimmer, in den früher die Dienstmädchen
geschlafen haben. In diese Zimmer führt eine separate Treppe, die in die
Eingangshalle mündet. Vielleicht hast du sie beim Reinkommen gesehen. So
konnten sich die Diener im Haus bewegen, ohne die Bewohner oder die Gäste in
ihren Tätigkeiten zu stören. Oder einem hochrangigen Gast auf der Haupttreppe
zu begegnen.«
Karla schnalzte mit der
Zunge. »Ganz schön versnobt, wenn du mich fragst.«
»Da bin ich ganz deiner
Meinung. Wir gehen jetzt dorthin und versuchen, von dort in die Empfangshalle zu
kommen. Und von da laufen wir zum Geländewagen. Okay?«
Karla nickte. »In Ordnung.«
Sie ließen die Tür zur
Brüstung, die um das Foyer herum führte, liegen, und erreichten eines der
kleinen Zimmer, in denen die Bediensteten geschlafen hatten. Und viel mehr
konnten sie hier auch nicht getan haben. Die Räume waren so winzig, dass man
sich schwerlich vorstellen konnte, dass hier außer einem Bett und einem Schrank
noch weitere Möbelstücke gestanden haben sollen.
Mehrere dieser Räume folgten
aufeinander, jeweils verbunden durch eine Türöffnung. Daniel und Karla
leuchteten durch die Räume, auf der Suche nach der Treppe, die sie ein
Stockwerk nach unten und in die Freiheit führen sollte.
Als sie einen Raum
passierten, der ein Fenster von der Größe eines Zeichenblocks zum Hof aufwies,
blieb Karla stehen.
»Warte mal«, sagte sie.
Daniel blieb stehen und sah
sich zu ihr um.
»Was ist?«
Sie winkte ihn zu sich
heran.
»Sieh mal, da kommt ein
Auto.«
Daniel drängte sich neben
sie und blickte auf die Auffahrt. Von hier oben konnte man die Schneise
erkennen, durch die der Waldweg zur Ruine führte. Und tatsächlich fraßen sich
gierige Scheinwerfer durch die Nacht und ließen die beleuchteten Bäume mit
bewegenden Schatten bedrohlich erscheinen.
»Meinst du, da kommt
Hilfe?«, fragte Karla.
Daniel wollte genau das
glauben, doch der Verlauf der Nacht hatte ihn gelehrt, sich nicht zu früh zu
freuen. Außerdem klang das Motorengeräusch viel zu vertraut.
»Nein«, sagte er. »Das
glaube ich nicht. Ich denke, jetzt sitzen wir richtig in der Scheiße.«
Kapitel 28
Seite an Seite standen sie
am Fenster und beobachteten die auf den Hof fahrende Limousine.
Daniel schaltete die
Taschenlampe aus. Die Gefahr, dass man den Lichtschein unten wahrnahm und sie
sich verraten würden, war zu groß.
Daniel kannte den Wagen
nicht, doch ein Blick auf den Fahrersitz reichte ihm, um seine Vorahnung zu
bestätigen. Der Kerl, der aus grobem Stein gemeißelt zu sein schien, war
zweifelsfrei der Bodyguard von Marcos und Yvonnes Auftraggeber. Das war selbst
bei diesen Lichtverhältnissen unverkennbar.
Was wollte der rotäugige
Hurensohn hier? Vor Minuten noch hatte Daniel eine Perspektive gesehen, die
Nacht zu überleben. Doch jetzt trübte sich seine Hoffnung empfindlich ein, wie
ein Wasserglas, in das man eine Tintenpatrone entleerte.
Eine rote Tintenpatrone.
Die Limousine fuhr auf den
geschotterten Hof und parkte neben Piets Geländewagen. Der Kies knirschte unter
den mächtigen Reifen des Luxusautos. Die Halogenscheinwerfer beleuchteten die
Vorderseite der Ruine. Daniel und Karla zogen die Köpfe ein. Ein flüchtiger
Blick in das richtige Fenster und sie würden auffliegen. Trotzdem riskierte
Daniel immer wieder ein Auge auf die Geschehnisse im Hof.
Kaum stehen geblieben, flog
die Fahrertür auf und Xerxes‘ Leibwache stieg trotz seiner Körpermasse derart
behände aus, als fließe er aus dem Innenraum des Wagens. Er schnallte sich
seine Maschinenpistole um und lief auf die Beifahrerseite, wo er die Tür zum
Rücksitz öffnete.
Xerxes stieg nicht im Ansatz
so elegant aus wie der jüngere Mann. Daniel sah Finger wie übergroße blasse
Würmer, die sich an der Autotür festkrallten, und hörte ihn ächzen,
Weitere Kostenlose Bücher