Die Beschützerin
er von ihr? Ich ekelte mich auf einmal so davor, dass ich einen Brechreiz spürte.
Als ich aufsah, stand Mark Winter in der Tür. »Was ist los?«
Ich schluckte nur.
»Fehlen Unterlagen?«
Ich nickte.
Er kam ins Zimmer und schloss die Tür. »Was wollen Sie nun machen?«
»Ich könnte der Internen Revision meine Kontoauszüge vorlegen.«
Winter brach in lautes Lachen aus. »Glauben Sie, dass Kickbacks aufs Girokonto überwiesen werden wie das monatliche Gehalt? Nein, solche Summen übergibt man in Briefumschlägen nachts in der Tiefgarage.«
Ich brachte nicht mal ein Lächeln zustande. Er amüsierte sich über meine Naivität in kriminellen Dingen. Und andere trauten mir wirklich so etwas zu.
»Dann kann ich nur mit offenen Karten spielen«, sagte ich. »Ich gehe zu Lehner und sage ihm, was ich auf dem Anrufbeantworter gehört habe. Ich erzähle ihm alles, was Vanessa Ott gemacht hat.«
»Das dürfen Sie nicht. Sie haben keine Beweise. Das Band ist sicher längst gelöscht.«
»Soll ich Ihrer Meinung nach abwarten, bis ich die Kündigung erhalte? Ohne den Versuch, mich zu wehren?« Ich hätte ihn am liebsten an den Schultern gepackt und geschüttelt. »Wen schützen Sie? Sich selbst? Oder Vanessa Ott?«
Mark Winters Gesicht war noch blasser geworden.
»Warum tun Sie so, als wäre alles normal? Diese Frau ist eine Psychopathin, sie hat eine Affäre mit Ihrem Chef und wird Sie eiskalt aus dem Job kicken.«
Er verkrampfte die Hände ineinander. Was ging in ihm vor? War es die alte Solidarität mit seiner langjährigen Kollegin? Oder war er in Vanessa verliebt? Nein, das konnte nicht sein. In eine magersüchtige Irre, die sich die Arme aufritzte? Aber vielleicht wollte er das nicht wahrhaben. Sah nur die schöne Oberfläche.
Er funkelte mich böse an. »Sie haben ja keine Ahnung. Eichstätt bedeutet ihr nichts. Er hat die Macht, das ist sexy. Die beiden sind sich sehr ähnlich. Sie kompensieren ihre Angst vor den Menschen, indem sie Macht und Kontrolle über sie gewinnen.«
»Eichstätt wirkt nicht so, als hätte er Angst vor irgendjemandem.« Ich sah ihn vor mir, groà und breitschultrig, strotzend vor Selbstbewusstsein.
»Nicht, solange er meint, alles im Griff zu haben. Aber wehe, etwas entgleitet ihm. Wie seine Frau ⦠eine junge schwedische Malerin. Galt mal als aufsteigender Stern am Kunsthimmel. Seit sie mit ihm zusammen ist, hört man nichts mehr von ihrer Karriere. Sie malt jeden Tag ein Bild und zerstört es am Abend. Vor Kurzem hat sie versucht, sich umzubringen.«
»Aber wie kann Eichstätt eine Affäre riskieren, wenn er weiÃ, wie labil sie ist?«
Mark Winter seufzte genervt. »Was weià ich? Er scheint die Tatsache zu ignorieren, dass Vanessa ebenso unkontrollierbar ist wie seine Frau. Vanessa hat mit zwölf den ersten Selbstmordversuch gemacht. Danach war sie lange Zeit in Therapie.«
Ich musste daran denken, was sie mir erzählt hatte. Ihre Mutter habe sich umgebracht, als sie zwölf war. Ihre Mutter, die Vanessa sogar noch als erwachsene Frau kontrollierte.
»Muss Eichstätt nicht befürchten, dass Vanessa Ott versucht, ihn zu erpressen?«
»Klar«, sagte Mark Winter. »Jeder, der Vanessa kennt, hätte das befürchtet. Eichstätt war leichtsinnig. Und jetzt kriegt er die Quittung. Er steht kurz vor der Ernennung zum CEO der Bloomsdale Europe durch das amerikanische Headquarter. Der entscheidende Karrieresprung. Wenn rauskommt, dass er seine Ehefrau mit einer Projektmanagerin aus seinem eigenen Team betrügt, kann er einpacken.« Er sprach ohne jede Genugtuung in der Stimme.
»Ich werde mit Lehner sprechen«, sagte ich. »Egal, ob Sie mich unterstützen oder nicht.«
Mark Winter schüttelte den Kopf. »Reden Sie besser mit Eichstätt. Erpressen Sie ihn genauso eiskalt wie Vanessa, mit Ihrem Wissen über den gefälschten Brief und darüber, dass er dabei mitmacht. Drohen Sie ihm, an die Presse zu gehen. Eichstätts Zukunft hängt an einem seidenen Faden. Er wird alles Menschenmögliche tun, um zu verhindern, dass die Geschichte an die groÃe Glocke gehängt wird. Er wird dafür sorgen, dass Ihre Kündigung vom Tisch kommt. Dafür reicht ein vertrauliches Gespräch zwischen ihm und Lehner.«
Er nahm einen Zettel von meinem Schreibtisch und schrieb etwas darauf.
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