Die beste Lage: Roman (German Edition)
alten Onkel glich, der euch, wenn ihr, Gilberto und du, ihm als Jungs auf der Straße begegnet seid, mit der gleichen Geste und dem gleichen Gesichtsausdruck begrüßt hat und den ihr stets mitleidig, wenn nicht gar geringschätzig angeschaut habt, weil er unbedingt jugendlich wirken wollte, während er doch schon so weit von eurer Welt entfernt war. Bei euch selbst war das etwas ganz anderes.
Soeben habt ihr einer der grausamen Manifestationen des »Abbaus« beigewohnt. Früher oder später setzt er bei allen ein, auch wenn der Einzelne ihn ausschließlich bei den anderen registriert, während wir selbst uns immer als die Ewiggleichen wahrnehmen.
Dieser Regel konnte auch Riccardo sich nicht entziehen, obwohl sich unser Ethnologe nach all den Gesprächen mit seinen Altersgenossen, die sich alle ausnahmslos noch jung vorkamen – selbst in den hoffnungslosesten Fällen, wie zum Beispiel im Falle von Gilberto, der ihn soeben aus dem Auto heraus gegrüßt, ihm aber kaum vierzehn Tage zuvor noch lachend gesagt hatte: »Klar, dass wir beide, verglichen mit unseren Freunden, diesen Tattergreisen, den Anschein erwecken, mit dem Teufel im Bunde zu sein« –, obwohl also unser Ethnologe sich allmählich zu fragen begann, ob er etwa selbst schon, ohne es zu merken, so weit abgebaut hatte wie die meisten seiner Altersgenossen.
Nach der Woche, die er auf Graziantonios Megayacht verbracht hatte, waren seine Zweifel jedoch verflogen. Er sah bestimmt mindestens zehn Jahre jünger aus, als er tatsächlich war, wie ihm in den wunderschönen Villen auf den wunderschönen Partys, an denen er teilgenommen hatte, die wunderschönen Frauen, denen er begegnet war, versichert hatten. Mit ein paar von ihnen hätte er, von Sheila einmal abgesehen, auch etwas anfangen können – hätte Graziantonio ihm nicht im Weg gestanden.
Aber nicht nur aus diesem Grund kam sich Riccardo Fusco schlagartig verjüngt vor.
Rache – kleine Rache
Es waren tatsächlich in jeder Hinsicht intensive Tage gewesen. In ein Ambiente hineinkatapultiert, das so völlig anders war als das seine, dieses Ambiente, das gewöhnlich in den Illustrierten beschrieben wird und von dem man üblicherweise mit Verachtung spricht, hatte Fusco jetzt zum ersten Mal aus der Nähe betrachten können und es alles andere als unangenehm gefunden.
Im Verlauf eines einzigen Wochenendes war er mehr Leuten begegnet, als in den letzten Jahren seiner abgekapselten Existenz in Potenza zusammen – wo er, sagen wir es freiheraus, all diese Leute auch dann nie gesehen hätte, wenn er weniger abgekapselt gelebt hätte –, und dieses schwindelerregende Gewusel von prallem Leben mit seinem Glanz und Ungestüm, seiner Schrillheit und Vulgarität hatte ihn endlich aus seiner Trägheit aufgerüttelt. Inmitten dieser Frauen und Männer – ein beachtliches Kaleidoskop der menschlichen Spezies aus skrupellosen Finanzhaien, Filmschauspielern und Fernsehansagerinnen, Journalisten und Industriekapitänen, Fußballern und Entertainern und Schönheitschirurgen samt ihren Geliebten, Filmsternchen und Models, aber auch einfachen Hungerleidern und Tagedieben oder mehr oder weniger angesagten Künstlern und Dandys und sozialen Aufsteigern – hatte Riccardo sich wieder in die brillante Persönlichkeit verwandelt, die er einst gewesen war, und konnte jegliche Zuhörerschaft mit seiner geistsprühenden Konversation faszinieren, aber auch, wenn es darauf ankam, schweigen und zuhören – eine seltene Gabe – und sich außerdem das zunutze machen, was ihm da alles zu Ohren kam. Seit Neuestem spukte ihm nämlich eine Idee im Kopf herum. Das ging so weit, dass er spät in der Nacht, während er auf Deck der Tiger of Versailles eine Cohiba, begleitet von einem der herrlich torfig schmeckenden Whiskys genoss, die Graziantonio auf Lager hatte, plötzlich spürte, wie ihm das Blut in den Adern kochte bei dem bloßen Gedanken daran, dass er es seiner Frau gestattet hatte, ihn so herunterzuwirtschaften.
Sie war schlau gewesen, die Eleonora. Alles hatte sie schrittweise ins Werk gesetzt, bis hin zu den Demütigungen der letzten Zeit. Aber das würde er ihr heimzahlen! Mit Giàcenere wegzufahren, ohne ihr überhaupt Bescheid zu sagen, war erst der Anfang gewesen, und jetzt dachte er mit großer Genugtuung an die Brüchigkeit, die er in ihrer sonst keineswegs brüchigen Stimme wahrgenommen hatte, als sie am Tag danach geruht hatte, sich telefonisch bei ihm zu melden.
»Was soll denn nicht in Ordnung sein? Ich bin mit
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