Die beste Lage: Roman (German Edition)
man auch angesichts solcher Geschichten gleichgültig bleiben, wenn sie von jemandem wie Graziantonio Dell’Arco erzählt werden, der die Zielscheibe des Spotts des ganzen Gymnasiums gewesen war und auf den niemand eine Lira gewettet hätte. Ein typischer Fall von denkste!
›Vielleicht haben wir ihn falsch eingeschätzt‹, ›Vielleicht hatte er seine Ausdrucksmöglichkeiten noch nicht gefunden‹, ›Vielleicht hat er sich einfach verändert‹, dachte Riccardo Fusco. Kaum hatte er ihn inmitten all dieser Pracht wiedergesehen, war Graziantonio ihm sogar größer vorgekommen, als er ihn in Erinnerung hatte, aber je länger er ihm jetzt zuhörte, desto mehr schien ihm Graziantonio ganz der Alte zu sein.
Der alte Idiot .
Wie Riccardo bereits in diesen Tagen feststellte und im Gegensatz zu dem, was man erwarten würde, sind auch die Reichen vom Schlage eines Dell’Arco – also die Selfmademen – in Wirklichkeit nicht intelligenter als die Nichtreichen, ja, sie figurieren in ihrer Kategorie sogar oft als vollkommene Schwachköpfe. Sagen wir, dass ihr Erfolg bestenfalls ihre Fähigkeit bestätigt, bestimmte Probleme lösen zu können. Aber ein Talent zu besitzen – und dass der lukanische Tycoon, dieser fabelhafte Reichtumsvermehrer, eines besaß, war unbestreitbar –, impliziert nicht, auch über einen scharfen Blick oder einen aufgeschlossenen Geist zu verfügen. Ebenso können selbst die größten mathematischen oder musikalischen Genies absolute Idioten sein. Dieses Rätsel, und weniger der Neid, war es ja, was Salieri veranlasste, Gott zu fragen, wie Er ausgerechnet einen Dummkopf wie Mozart mit Talent hatte ausstatten können. Und genau dieses Geheimnis würde Riccardo Fusco als Ausgangspunkt für seine neue Untersuchung dienen, auf der er dann sein neues Leben aufzubauen gedachte. Er würde es schaffen, das spürte er.
Zuversicht und Tatkraft waren wieder zurückgekehrt.
Zweiter Auftritt des Aglianico
Für den Augenblick jedoch, und das heißt zwischen einem Bad und dem nächsten und oft auch während eines Bades, im Meer oder im großen Whirlpool auf Deck, musste er Dell’Arco ertragen, und je länger dieser hemmungslos mit seinen Erfolgen prahlte, desto mehr nahm auch Riccardo die gleiche Haltung ein wie Giàcenere und die anderen Hofschranzen und setzte die zerstreute Miene auf, mit der man einen Schlager anhört, den man in- und auswendig kennt, der aber ein gelegentliches Zeichen der Aufmerksamkeit erheischt – ein »Ja, fantastisch!«, ein »Tsss, unglaublich!« oder ein »Wow, sagenhaft!« –, einfach damit der Solist sich nicht ganz solo fühlt, was aber, wie Graziantonio bald schon gestehen würde, dennoch der Fall war.
Es geschah in einer dieser Nächte nach der Rückkehr von einer Party. Riccardo wäre gern noch länger geblieben, denn die Unterhaltung mit einer Blondine hatte sich sehr hoffnungsvoll gestaltet – vielleicht hätte auch er die Ekstase einer Bumserei in einer marmorverkleideten Toilette kennengelernt, wie er es so oft im Film gesehen hatte –, aber da war nichts zu machen gewesen. Graziantonio hatte seinen Hofstaat zusammengetrommelt, und jetzt saß, wie es bereits Ritual geworden war, auf dem Deck der Megayacht außer ihm selbst dessen harter Kern, bestehend aus Riccardo, Giàcenere und Martin, diesem Schwulen aus New York, dem Vertrauten-Sekretär-Faktotum des großen Häuptlings. Graziantonio gehörte zu den Leuten, die mit ihren Freunden bis in die Puppen aufblieben, und das war, nachdem sie ihm schon den ganzen Tag ihr Ohr geliehen hatten, ein weiterer Preis, der zu zahlen war. Dieses Mal jedoch hatte Ravi Shankar, wie sie den indischen Kellner spaßhaft nannten, statt des üblichen Whiskys oder Champagners eine Bordeauxflasche ohne Etikett gebracht, aus der er ihnen, nach dem angemessenen Entkorkungsritual, einen ausgezeichneten Roten einschenkte.
»Wie findest du ihn, Riccà?«, fragte Dell’Arco.
»Ausgezeichnet. Wirklich ausgezeichnet. Dein Aglianico?«, antwortete Fusco und dachte, dass man nun endlich zum Anlass seiner Einbestellung käme, die, wie er inständig hoffte, andere nach sich ziehen würde, damit er den Mann, der sein Leben ändern könnte, auch ja nicht aus den Augen verlor.
»Bravo, erraten. Das ist wirklich mein Wein«, sagte Dell’Arco und fügte mit stolzgeschwellter Brust hinzu: »Ist er nicht fabelhaft? Den hat mir Daniel Onereille kreiiert, ein fantastischer winemaker , der auch für Château Latour arbeitet. Ich will, dass er der Wein
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