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Die beste Welt: Roman (German Edition)

Die beste Welt: Roman (German Edition)

Titel: Die beste Welt: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karen Lord
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gestalten würde, und so war es einzig unbestimmter Glaube, ein Gefühl des Vertrauens, was mich bewog, in meinem Wohnzimmer zu bleiben und zu warten.
    Was dann geschah, lag irgendwo zwischen den beiden Extremen, die ich mir ausgemalt hatte.
    Zuerst hörte ich eine Stimme. Es war eine ganz gewöhnliche Stimme, außer, dass sie aus dem Nichts zu kommen schien. Sie sagte ganz einfach: »Naraldi schickt mich.«
    Ich blinzelte – und da war es. Ich fuhr aus meinem Sessel hoch. Es war zu bizarr, um mir Ehrfurcht einzuflößen. Noch nie war ich im echtem Leben einem sadirischen Mentalschiff begegnet, aber ich wusste, wie sie aussahen, etwa wie ein Mantarochen, sehr glatt und dunkel und wie von der Natur dafür bestimmt, durch jeden Riss im Gewebe der Raumzeit zu schlüpfen. Was sich jetzt vor mir manifestierte, war ganz anders, als ich es mir vorgestellt hatte, aber sicherlich hätte sich das auch sonst niemand vorstellen können. Immerhin hatte man das Leitmotiv Ozean beibehalten, denn das Gebilde glich dem Kiel eines Bootes, der sich, glatt geschliffen und poliert, in hohem Bogen bis zum Bug emporschwang. Aber da war kein Boot, nur eine hochgewachsene Gestalt in einem eng anliegenden, metallisch glänzenden Anzug und mit einem Helm auf dem Kopf, die eine Hand auf das Holz gelegt hatte, wie um den Kiel aufrecht zu halten. Hing womöglich doch ein unsichtbares Boot daran? Ich riss die Augen weit auf.
    »Sehr gut. Sie haben weder geschrien, noch sind Sie umgekippt oder davongelaufen.« Die Stimme klang anfangs etwas dumpf, doch dann wurde der glänzende Helm abgenommen, und darunter kamen ein ebenso glänzendes Gesicht und eine wallende weiße Mähne zum Vorschein.
    Ich korrigierte schleunigst meine Deutung dessen, was ich sah. »Das sollte ich aber wohl«, erklärte ich dem goldenen Fremden vorwurfsvoll. »Sie sind nackt.«
    Er schaute nervös an sich hinab, dann warf er mir einen strengen Blick zu. »Sie dürfen mich nicht so erschrecken. Ich habe die Kontrolle über meinen Schammuskel seit meinem zwölften Lebensjahr nicht mehr verloren.«
    »Ach?«, stieß ich schwach hervor.
    Jetzt wirkte er bekümmert. »Das war ein Scherz. Bitte nehmen Sie mich nicht ernst. Schammuskel. Als ob es so etwas gäbe.« Er lachte kurz und verlegen, verstummte dann und sah mich schuldbewusst an.
    Ich konnte dem Gespräch nicht mehr folgen, es entfernte sich zu weit von jedem gesunden Menschenverstand, und so bemühte ich mich, wieder etwas Normalität herzustellen. »Ich bin Grace Delarua. Freut mich, Sie kennenzulernen.« Damit trat ich vor und streckte dem Fremden die Hand entgegen.
    Er beäugte sie, dann schaute er fragend zu mir auf. Er setzte seinen Helm wieder auf, ließ aber diesmal das Visier offen, und ergriff meine Hand. »Nun ja, wenn Sie meinen?«
    Erst als seine messingglänzende Haut die meine berührte, fiel mir ein, dass das vielleicht nicht ratsam sein könnte. Zu spät. Die Welt verschwand. Ich kniff die Augen fest zu und wollte schreien, aber es gelang mir nicht.
    Ich hörte die Stimme des Fremden deutlich in meinem Kopf, und die Ähnlichkeit zu meiner eigenen, im Tonfall, im Rhythmus und in der Sprechweise, war verwirrend. »Sie können mich übrigens Sayr nennen. Ich hatte nicht angenommen, dass Sie mitreisen würden. Ich wollte nur den Kommunikator holen, um einen Bezugspunkt zu haben, aber so ist es auch in Ordnung.«
    »Ahhh!« Endlich brachte ich immerhin einen Ton heraus. Er hallte so laut wider, dass ich sofort die Augen öffnete. Vor mir war nichts als dichte, undurchdringliche Finsternis, und ich war froh, unter meinen Füßen festes Gestein zu spüren, denn sonst hätte ich geglaubt, im leeren Raum zu schweben. Plötzlich erschien zu meiner Linken ein Lichtschein, und ich zuckte zusammen. Sayrs Arm hatte zu leuchten begonnen, ein Netz von schwachen Linien zeichnete sich darauf ab. Er betrachtete es eingehend. Ich konnte nicht verstehen, was ihn an seinen Adern so faszinierte, bis ich begriff, dass das Netz eine Karte war.
    »Hier haben Sie also den ersten Einfall von Licht gesehen. Hm. Das Gelände hat sich ein wenig verändert. Möchten Sie versuchen, Ihre Freunde zu rufen?«
    Ich zögerte. Eine Sekunde, um zu begreifen, dass ich mich wieder in der verlassenen unterirdischen Stadt am anderen Ende der Welt befand; eine zweite, um mich zu fragen, ob Sayr Mensch oder Maschine oder beides war; und eine dritte, um mich an Fergus’ Kommunikator zu erinnern und dankbar zu sein, dass ich ihn immer noch fest in der

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