Die beste Welt: Roman (German Edition)
höchstwahrscheinlich noch nicht aufgehört hatten zu atmen. Vor dem Rathaus der Siedlung wurden im Rahmen einer Zeremonie, die eine ganz ungewöhnliche Mischung aus cygnischen und sadirischen Überlieferungen darstellte, zum Andenken zwei Bäume gepflanzt, danach zogen sich alle Teilnehmer in das Gebäude zurück, um dort ein paar Minuten lang mit ernstem Gesicht verlegen herumzustehen.
Ich war empört. »Sie hätten doch noch warten können«, wütete ich.
Nasiha fand die vorgezogene Totenfeier ebenfalls ungehörig, obwohl sie vom Hilferuf des Konsuls nichts wusste, suchte aber nach einer Entschuldigung. »Die Überlebenschancen gehen inzwischen gegen null«, erklärte sie, und ihre bedrückte Miene ließ erahnen, dass ihr die Worte noch unangenehmer in den Ohren klangen als mir. »Außerdem war der Rat der Meinung, es würde dem Ereignis mehr Gewicht verleihen als wünschenswert, wenn man die üblichen Rituale zu lange hinausschöbe.«
»Es ist die erste Trauerfeier in der Kolonie«, murmelte ich.
»Richtig. Und mit der Zeit werden weitere folgen. Das ist der Sinn des Ganzen. Die jungen Männer sollen wieder lernen, dem Tod ins Auge zu sehen.«
»Aber hätte man nicht wenigstens warten können, bis wir Gewissheit hatten?«, hakte ich nach.
Sie zuckte die Achseln. »Es gibt keinen Grund, an Wunder zu glauben.«
»Für mich schon«, fauchte ich.
Irgendwann war die Grenze erreicht, bis zu der Nasiha und ich uns gegenseitig Trost spenden konnten. Zum Glück gab es Freyda Mar. Ein einziger Blick quer durch den überfüllten Raum genügte. Wir entschuldigten uns bei unseren Gesprächspartnern, steuerten eine stille Ecke an, fielen einander in die Arme und ließen unseren Tränen eine Viertelstunde lang freien Lauf.
»Woher wusstest du?«, fragte ich, als wir uns wieder gefasst hatten.
Sie lächelte kläglich. »Lanuri sagt, ich falte die Hände hinter den Rücken, wenn ich will, dass er mich in die Arme nimmt, aber nicht wage, ihn darum zu bitten. Du umklammerst schon seit einer Stunde deine Handgelenke.«
Ich war bislang jeder Begegnung mit Dllenahkh ausgewichen. Ich fürchtete, ihn nach Neuigkeiten zu fragen, und ich fürchtete, in seinen Augen etwas zu sehen, was meine Hoffnung zerstören könnte, doch als sie das sagte, spürte ich plötzlich das Verlangen, ihn aufzusuchen. Er schien zu wissen, dass ich ihn brauchte, denn sobald ich in seine Richtung schaute, löste er sich aus einer Gruppe grimmig dreinblickender Ratsherren und kam auf mich zu.
»Delarua«, fragte er ohne Einleitung. »Wo sind Sie untergebracht?«
»Bei Doktor Lanuri. Wenn Freyda morgen mit ihrer Runde fertig ist, fahre ich mit ihr in die Stadt zurück«, antwortete ich.
»Kommen Sie mit mir – jetzt gleich.«
»Gut«, sagte ich sofort.
Unterwegs erklärte er mir, was jetzt zu tun war. »Naraldi will nicht selbst eingreifen, und er will auch nicht, dass das Konsulat irgendwie hineingezogen wird. Ich habe den umgebauten Kommunikator. Er möchte, dass Sie ihn mit in Ihre Wohnung nehmen und dort warten. Zu einem festgesetzten Zeitpunkt wird jemand zu Ihnen kommen.«
Ich sah ihn an, sah ihn gründlich an, und öffnete auch meinen Geist.
»Wann haben Sie zum letzten Mal geschlafen?«, fragte ich leise.
Er blickte zur Seite, wie er es immer tat, wenn er nur ungern die Wahrheit sagte. »Ich …«
Wie oft hatten wir in einem Bodenfahrzeug geschlafen, das auf Autopilot lief? Viel zu oft. Ich drückte auf die Knöpfe, um die Fenster abzudunkeln und die Sitze zu verstellen. »Dann machen Sie jetzt die Augen zu. Reden können wir, wenn wir in der Stadt sind.«
Wir legten uns nebeneinander. Dllenahkh setzte zu einer Bewegung an, zögerte und legte mir dann sacht eine Hand an die Wange. Es war wie damals, als er meine Heilung unterstützt hatte. Ich hatte eine sanfte Berührung erwartet, doch stattdessen floss ein warmer Strom in mein Gehirn. Ich hatte so etwas in seiner Gegenwart noch nie gespürt.
Ich hielt ganz still. »Was tun Sie da?«, fragte ich.
»Ich sorge dafür, dass Sie nichts vergessen«, flüsterte er.
Ich hätte gern noch weitergefragt, doch bevor ich dazu kam, fiel ich in einen tiefen Schlaf.
Am folgenden Tag, dem achten nach meinem Treffen mit dem Konsul, saß ich nervös in meiner Wohnung und hielt den Kommunikator in der Hand. Ich wusste nicht, was mir bevorstand. Würde es ganz normal an meiner Tür klingeln? Würde sich der Himmel auftun und die Erde erbeben? Ich hatte keine Ahnung, wie sich dieses Abenteuer
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