Die Beste Zum Schluss
und hat vierzig Brustwarzen? – Ein Müllsack aus der Brustkrebsklinik.«
Ich starre sie an. Sie lächelt und lehnt sich gegen mich.
»Den hat Mama mir erzählt.«
»Toll, wenn Eltern ihren Kindern etwas weitergeben.«
Ich hebe meinen Arm an. Sie kuschelt sich an mich. So sitzen wir da und schauen über die Dächer. Gestern Abend saß die potenzielle Frau meines Lebens neben mir. Jetzt sitzt hier die definitive Freundin meines Lebens. Beides gleichzeitig zu haben wäre schön, aber man kann nicht erwarten, dass das Leben perfekt ist. Nichts ist perfekt. Nicht mal Glück. Doch es bleibt Glück.
Wir sind fast aus Köln raus, als wir den Kindern verraten, dass sie mindestens die ganze nächste Woche nicht in die Kita müssen und jeden Tag mit Opa verbringen werden. Sie verpassen uns ein bisschen Tinnitus, dann singen sie ein Lied aus der Kita. Irgendwas mit Finger im Popo, und nach jeder Zeile fügen sie einen Namen hinzu und kichern sich schlapp. Es ist selten, dass ich Lola so ausgelassen erlebe, und ich nehme ihr das genauso wenig ab wie ihrer Mutter vorhin. Sie ist so sensibel und sozial. So eine Frau hätte ich mal kennenlernen sollen. Eva! Meine Eingeweide ziehen sich zusammen. Hatte schon vergessen, wie schmerzhaft es ist, dass es so schön hätte sein können.
Wir rollen über die A 57 . Ein Wagen voller Menschen, die sich lieben. Über uns am Himmel zieht ein Flugzeug einen weißen Strich. Ich könnte jetzt da oben sein, aber hier unten bin ich richtig. Eva kenne ich zwei Tage, Rene eine Ewigkeit. Eva war eine Hoffnung, Rene ist die Tatsache.
Ich spüre, wie sie mich vom Beifahrersitz aus mustert.
»Du vermisst sie.«
»Wen?«
»Blödmann. Vielleicht kommt sie ja wieder.«
»Klar.«
Bevor sie noch mehr Stuss reden kann, quiekt ein Meerschwein. Ich greife nach meinem Handy, nur um zu merken, dass es Susi ist, die im Fußraum bei den Kindern steht. Oscar schmeißt sich weg, und mein Herz versucht, sich einen Weg aus meiner Brust freizuklopfen. Dabei hat Eva noch nicht mal meine Nummer. Herz, blödes Ding.
Seit der Beerdigung meiner Eltern war ich dreimal in Aachen. Bei der Beerdigung von Renes Mutter, bei der Beerdigung von Edith und jetzt. Dreimal in einundzwanzig Jahren, und es hätte mir für die nächsten einundzwanzig gereicht. Wir fahren durch die Stadt, und nichts was ich sehe, löst Wiedersehensfreude aus. Im Gegenteil. An dem Eckkiosk hat sich Papa seine Zigaretten gekauft … Bei dem Bäcker da holten wir sonntags Brötchen … Da ist der Schleichweg rüber zum Spielplatz … Die Stadt hat sich verändert, aber dennoch scheint alles beim Alten zu sein. Nur das Wichtigste fehlt.
Als ich an der Kreuzung vorbeifahre, an der man eigentlich links abbiegen muss, um zu Renes Elternhaus zu gelangen, mustert Rene mich aus dem Augenwinkel. Auch deswegen bin ich weggegangen. So haben mich damals alle angeschaut.
Wir fahren einmal um den Block. Als wir von der anderen Seite in die von Bäumen flankierte Straße einbiegen, steht Renes Vater auf dem Gehweg vor der Garage, als würde er schon immer da stehen. Die Kinder entdecken ihn und drehen durch. Kaum hält der Wagen, sind beide draußen und kleben an ihrem Opa wie Schnecken an Glas. Rene stößt die Beifahrertür auf und läuft ihrem Vater in die Arme. Sulke kommt angelaufen. Sulke ist ein grauer Hovawart, der mittlerweile in die Jahre gekommen ist, aber grau war er schon immer. Er trägt den Namen des Lieblingssängers von Renes Mutter. Rene schenkte ihn ihr, als sie im Sterben lag, um ihr in den letzten Monaten noch mal die Freude zu schenken, an einem jungen Leben teilzuhaben. Eines der sinnvollsten Geschenke, die ich je erlebt habe. Jeden Abend, wenn Rene ihre Mutter anrief, berichtete die freudig, was Sulke wieder angestellt hatte. Ein tapsiger Welpe, schmusig und unfreiwillig komisch, war ein Lichtblick im Prozess des Sterbens. Trotz seines hohen Alters ist er immer noch bereit für einen Freudentanz, als ich aussteige. Einmal Freund, immer Freund. Hunde.
Ich lehne mich an den Gartenzaun, streichle Sulkes Schädel, beobachte die Wiedersehensfreude um mich herum und kämpfe gegen den Magneten, der an meinem Kopf zerrt. Fünfzig Meter von hier entfernt steht der Grund für den Umweg um den Block. Ich riskiere einen schnellen Blick die Straße runter. Da. Ein blaues Haus. Immer noch.
Als die Umarmungen im Garten nachlassen, stürzt sich Oscar auf Sulke. Lola steuert die Gartenschaukel an. Renes Vater legt den Arm um seine Tochter, und
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