Die Beste Zum Schluss
wieder. Ich lächele noch mal, wende mich ab und gehe. Als ich mich am Ausgang umschaue, steht sie an der Theke und schaut mir nach. Eine gute Frau. Aufrecht, wach, sehnsüchtig und in der Lage, ihre Bedürfnisse mitzuteilen. Sie hatte eine Hoffnung, es hat nicht geklappt, und wenn ich raus bin, kauft sie sich einen neuen Lottoschein und freut sich auf die nächste Ziehung.
Das Taxi rollt durch die Nacht. Es muss zwei Uhr sein. Was Rene wohl gerade macht? Der Gedanke, dass sie in diesem Moment vielleicht Sex hat, ist schon merkwürdig, und ich bin sehr erleichtert, dass ich mich wirklich für sie freue. Ich kenne sie nicht mehr mit Lovern, so wie sie mich nicht mit Lovern kennt. Seitdem wir zusammengezogen sind, sind wir Singles, und sie hatte, soweit ich weiß, in dieser Zeit kaum mal eine Affäre. Ich verbrachte manchmal eine Nacht im Hotel, und als Rene und ich mal zusammen auf einer Vernissage waren, kam eine dieser Hotelnacht-Bekanntschaften auf mich zu und begrüßte mich etwas zu intim. Rene fragte, wer das sei, und ich weiß bis heute nicht warum – aber ich log sie an. War nur ein Reflex. Vielleicht aus demselben Grund, aus dem man Partner in Beziehungen anlügt: Angst zu verletzen, Angst, dass der Partner dann dasselbe tut, Angst vor den Veränderungen, die folgen könnten, wenn jemand sich plötzlich ändert. Darum freue ich mich jetzt, dass ich mich für sie freue. Dennoch, vielleicht fahre ich seit fünf Jahren die größte Vermeidungsstrategie der Geschichte, aus Angst, dass sich etwas ändert, sobald einer von uns eine Beziehung eingeht. Vielleicht habe ich die Hotelnächte deswegen nie zurückgerufen, obwohl ein paar wirklich toll waren. Vielleicht habe ich deswegen den Versicherungstypen ein bisschen schlechtgemacht. Vielleicht stelle ich Rene deswegen keine Kollegen vor. Meine Güte, vielleicht habe ich Eva deswegen abfliegen lassen.
Der Wagen hält. Ich krame einen Zehner aus der Tasche und halte ihn nach vorne. Als ich aussteige, merke ich, dass ich vor dem falschen Haus stehe. Das Taxi fährt los, und im selben Moment realisiere ich, dass es mein Elternhaus ist. Etwas zieht sich in meiner Brust zusammen. Meine Gesichtshaut prickelt. Ich stütze mich an ein parkendes Fahrzeug. Da lebten wir. Hier war mein Leben heil. Hier war ich keine Waise. Diesen Zaun habe ich mit meinem Vater gebaut, und wir haben ihn gemeinsam an einem warmen Sommertag angestrichen. Ich höre die Stimme meiner Mutter, wie sie mich zum Essen ruft, höre die beiden in der Küche reden, während ich in meinem Bett müde einschlafe, mit dem Gefühl absoluter Liebe und Sicherheit, wie ich es nie wieder gefunden habe. Ich schließe die Augen. Es ist bloß Projektion. Atme!
Nach einiger Zeit beruhigt sich mein Puls. Ich öffne die Augen in der Erwartung, eine Wasserwand auf mich zurasen zu sehen, doch ich sehe nichts. Die Straße hat immer noch keine Laternen, also erkenne ich weder Wolken noch Wellen. Na prima. Ich Trottel. Die Welle ist eine visuelle Bedrohung. Warum bin ich noch nie auf den Gedanken gekommen, die Augen zu schließen? Oh Mann … Zwanzig Jahre Hologrammbedrohung und immer schön hingeschaut. Super, echt, toll, und was nun? Ich stehe vor dem falschen Haus. Man könnte da wieder Zeichen sehen, aber vermutlich habe ich dem Taxifahrer einfach aus Gewohnheit unsere alte Adresse genannt.
Im selben Moment flackert das Licht über der Haustür. Es geht aus, an, aus, dann springt es wieder an und stabilisiert sich, was man von meinem Puls nicht behaupten kann. Doch Zeichen? Ist der Heilige Soundso in eine Glühlampe gefahren, um in mir Angst und Schrecken zu verbreiten?
Ich trete ein paar Schritte vor. Das Gartentor ist neu, sonst hat sich nicht viel geändert. Die Bäume und Beete sind an ihren alten Plätzen, der Efeu an der Nordseite des Hauses, sogar der Windweiser auf dem Dach neben dem Schornstein – alles noch beim Alten. Nur die Gardinen und eine Lampe über der Haustür zeugen von Veränderungen. Für einen Moment schaffe ich es, das Haus wie ein fremdes zu sehen, dann verwandelt es sich wieder in mein Zuhause, und das Nächste, was ich weiß, ist, dass ich die Allee hinuntereile und erwarte, dass jederzeit ein Tsunami donnernd über mich hereinbricht.
Als ich das metallische Gartentor von Renes Haus berühre, halte ich mich daran fest, bleibe stehen und schaue zurück. Nichts und niemand ist hinter mir. Bloß eine unbeleuchtete Allee, in der ein paar Häuser stehen, von denen jedes seine Geschichte
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