Die besten Freunde meines Lebens - Roman
Seite und schob sich am Schuppen vorbei zu dem dahinterliegenden langen Glasbau. Sogar durch die mit Feuchtigkeit beschlagenen und mit Flechten überwachsenen Scheiben hindurch konnte sie erkennen, dass das Gewächshaus leer war. Plastik töpfe stapelten sich pyramidenartig auf der hölzernen Werkbank am hinteren Ende. Die parallel verlaufenden Beete waren leer. Lizzie verstand sofort. Nicci hatte das während ihrer langen »Denkpausen« im Schuppen erledigt. Als der Krebs schon an ihren Kräften zehrte, hatte sie es zumindest noch geschafft, das Gewächshaus in Ordnung zu bringen.
Ein Berg Kartoffelpflanzen vergammelte neben einem noch feuchten Komposthaufen, zusammen mit verschimmelten schwarzen Pflanzen, die vielleicht Saubohnen waren. Jetzt wünschte sie, sie hätte als Kind besser aufgepasst. Nicht nur aufgepasst, sondern sich auch Notizen gemacht. Schließlich konnte sie ihre Mutter ja nicht anrufen und um gärtnerischen Rat bitten.
»Ich will jetzt nicht an meine Mutter denken«, murmelte Lizzie. »Es ist alles schon schrecklich genug.« Ertappt schüttelte sie den Kopf. »Du redest mit dir selbst, Lizzie«, sagte sie laut. »Das erste Anzeichen von Irresein.«
»Nein«, korrigierte sie sich, während sie den zweiten Schlüssel in das Schloss des Schuppens steckte und die Tür aufstieß. »Das erste Anzeichen von Einsamkeit.« Sie warf sich in den abgewetzten Ledersessel und begann zu schluchzen.
Eine halbe Stunde später bewaffnete sich Lizzie mit Niccis Spaten, Grabgabel und Gartenschere, zog Gartenhandschuhe an, schob die Füße in Niccis viel zu kleine Hunters und ließ sich vor einer Clematis nieder.
Die geblümten Handschuhe hatten sie für einen Moment aus der Bahn geworfen. Hätte sie Nicci nicht besser gekannt, würde sie schwören, die Handschuhe seien von Cath Kidston. Aber Nicci wäre eher gestorben, als … Lizzie hielt inne. Wie auch immer, Nicci hätte niemals Cath Kidston gekauft.
Aber es lag nicht allein an dem unpassenden Blümchenmuster. Die überwältigende Intimität, mit bloßen Fingern in Handschuhe zu schlüpfen, in denen einst Niccis kleine und flinke Hände gesteckt hatten, verursachte Lizzie Gänsehaut. Vor ihrem nächsten Besuch würde sie ins Gartencenter fahren und sich ein eigenes Paar Handschuhe besorgen.
Sie musste sowieso dorthin, um Pflanzen zu kaufen. Auch wenn sie keine Ahnung von Pflanzen hatte. Aber vom Gärtnern hatte sie genauso wenig Ahnung. Und da stand sie nun vor der Clematis, bereit, ihr mit einer tödlichen Waffe an den Kragen zu gehen. Hätte Lizzie eine Neigung zum Wetten gehabt, so hätte sie auf den Sieg der Clematis gesetzt.
»Sei radikal«, entfuhr es Lizzie so laut, dass sie zusammenzuckte.
Radikale Liebe war Niccis Philosophie gewesen – im Gartenbau und im Leben –, und jetzt schwor sich Lizzie, dies zu ihrer eigenen Philosophie zu machen.
Das Zurückstutzen der Pflanze war erstaunlich befreiend. Nach den ersten zwei, drei nervösen Schnitten fielen ihr lange Stränge mit grünen Trieben in die Hand, die zunächst eine Woge von Panik in ihr auslösten. Doch mit der Zeit gewann Lizzie an Selbstvertrauen und arbeitete sich am Zaun entlang durch die vielen Arten hindurch.
Für Lizzie war eine Clematis bisher einfach nur eine Clematis gewesen. Jetzt fiel ihr jedoch auf, dass jede Art un terschiedliche Blätter in unterschiedlichen Grüntönen hatte, manche gebogen und blass, andere spitz und dunkel. Lizzie stutzte sie alle. Nicci hatte die Clematis so gepflanzt, dass von Frühjahr bis Herbst immer irgendeine davon blühte. Der Zaun mit seiner Vielfalt an Blüten war in der Tat ein kleines Meisterwerk.
Mit voller Konzentration widmete sich Lizzie dem Schneiden, Stutzen und Wegpacken. Irgendetwas – nicht irgendjemand, sagte sie sich, definitiv nicht irgend jemand – riet ihr, nach ihrem Bauchgefühl vorzugehen: Es spielte keine Rolle, ob sie ein falsches Stück abschnitt; die Pflanze konnte das verkraften. Bald füllten die abgeschnittenen Triebe zwei Komposttüten, und als Lizzie fertig war, sahen die Clematis nicht unbedingt hübsch, aber doch ordentlich aus. Nicht mehr wild entschlossen, die ganze Welt zu überwuchern.
Die Pflanzenkübel auszuleeren war schwerer, als Lizzie gedacht hatte, zumindest körperlich.
Niccis Vorbild vor Augen, schleifte sie jeden Kübel zum hinteren Ende des Gartens und schaufelte mit den Händen die trockene Erde heraus, ehe sie den Kübel über dem Gemüsebeet ausleerte und danach die verkümmerten
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