Die Bestie
gefallen war; er fühlte sich schwindelig von dem Schlag, doch war er sich deutlich darüber im klaren, daß er unverletzt geblieben war. Er hörte die Anführerin, die große Frau, die vor ihm gestanden hatte, mit knappen Worten Befehle erteilen: »Karla, Marian, Jane – zurück zum Haus! Holt den Jeep! Schneidet jenen Kindern den Weg zur Stadt ab! Schnell, Rhoda! Lauf zum Tor und öffne es für sie! Nancy, wir beide werden über den Zaun klettern und die Jungen verfolgen oder nach der Botschaft suchen. Olive, du bleibst hier bei Mr. Pendrake.«
Pendrake vernahm eilige Schritte, als die Wächterinnen davoneilten. Er wartete. Gib ihnen Zeit. Gib Nancy und der Anführerin Gelegenheit, über den Zaun zu kommen. Und dann ... Phase Zwei!
Nach Ablauf von zwei Minuten begann er zu stöhnen. Er richtete sich auf. Er sah, daß ihn die Frau beobachtete. Olive war eine hübsche, doch etwas grobknochige Frau mit dünnen Lippen. Sie kam heran.
»Brauchen Sie Hilfe, Mr. Pendrake?«
Mister Pendrake! Diese Leute mit ihrer höflichen Besorgtheit machten ihn verrückt. In höchst ungesetzlicher Weise hielten sie ihn hier in Haft – und doch geschah es in aller Sanftheit und Freundlichkeit. Doch wenn er jemals entfliehen würde, so mußte es jetzt sein. Er würde den Trick nicht noch einmal anwenden können, um sich der Wachen zu entledigen. Pendrake versuchte mühsam, sich auf ein Knie aufzurichten. Als er schließlich so kniete, schüttelte er den Kopf, als ob er noch immer benommen wäre. Schließlich murmelte er unglücklich: »Helfen Sie mir auf.«
Sie kam heran und beugte sich nieder, um ihm die Hand zu reichen. Das war der Moment, in dem Pendrake in Aktion ging. Er fühlte keine Spur von Mitleid, als er zuschlug. Diese Frauen mit ihrer Gleichmacher-Droge, ihren Schußwaffen und ihrer Skrupellosigkeit konnten nicht mit Samthandschuhen angefaßt werden. Ein blitzschneller Eins-Zwei, Eins-Zwei zur Kinnspitze beendete den Kampf siegreich für ihn.
Olive ging zu Boden wie ein Klotz. Ohne die geringste Rücksichtnahme, genau so als ob er es mit einem Mann zu tun gehabt hätte, stürzte sich Pendrake auf sie und rollte sie auf den Rücken. Rasch zog er einen der Knebel aus der Tasche, die er vorbereitet hatte. Es dauerte etwa eine Minute, ihr den Mund sicher zu verschließen.
In weniger überstürzter Weise, doch ohne Zeit zu verschwenden, zog Pendrake sein Hemd aus dem Hosenbund und begann die starke Wäscheleine abzuwickeln, die er um die Hüften trug. Als er damit fertig war, begann sich die Frau zu rühren, und er beeilte sich, sie aufs gründlichste zu fesseln.
Es dauerte kaum länger als drei Minuten. Dann erhob er sich etwas schwach in den Knien, doch sonst ruhig. Er schenkte seiner Gefangenen keinen weiteren Blick mehr, sondern entfernte sich. Eine Zeitlang hielt er sich parallel zum Zaun. Schließlich zwängte er sich durch das Gestrüpp der Baumreihe und nahm das Gelände jenseits des hohen Zauns in Augenschein. Es war, wie er es in Erinnerung hatte, dicht bewaldet. Befriedigt eilte Pendrake zum Zaun und begann daran emporzuklettern. Wie er bei seinem ersten Versuch vor mehr als zwei Monaten festgestellt hatte, bot das Erklettern des Zaunes keine Schwierigkeit. Es war fast so leicht, als ob er an einem Seil emporklomm.
Mit steigender Erregung erreichte er das obere Ende und schob sich über die scharfen Speerspitzen des Zaunes auf die andere Seite. Erst danach erkannte er, daß ihn das Gefühl der bevorstehenden Freiheit dabei unvorsichtig werden ließ.
Er rutschte ab.
Und da beging er einen zweiten Fehler: den instinktiven Fehler, blindlings auszulangen, zuzugreifen, um einen Absturz zu verhindern. Als er stürzte, stieß einer der eisernen Spieße dicht unterhalb des Ellbogens in seinen rechten Unterarm und ging hindurch. Er hing in der Schwebe, sein Sturz durch den Arm aufgehalten, der am Zaun aufgespießt war. Der scharfe Schmerz tobte durch seinen Körper und durch sein Bewußtsein, und etwas Warmes, Salziges und Klebriges spritzte in sein Gesicht, in seine Augen und an seinen Mund.
Er hob sich in die Höhe. Das war das allererste, was Pendrake dann über und jenseits der sengenden Qual von der Außenwelt wahrnahm. Hob sich allein mit seinem linken Arm in die Höhe und versuchte zur gleichen Zeit, den rechten Unterarm hochzustemmen und von dem Spieß zu befreien, der ihn festnagelte.
Höher und höher! Und es gelang! Stöhnend vor Schmerz fiel er sechs Meter auf den Erdboden hinunter.
Er schlug hart auf.
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