Die Bestien - Thriller (German Edition)
retten?«
»Dazu komme ich noch. Aber zuerst musst du verstehen.« George lehnte sich nach vorne.
Jim glaubte, den modrigen Geruch von Pfeifenrauch wahrzunehmen.
»Weißt du, wie all das angefangen hat? Hunger. Schlicht und einfach. Der Drang, zu überleben. Leider hat sich dieser Drang in Gier verwandelt, und daraus wurde, nun …« Er räusperte sich. »Erinnerst du dich, dass ich dir erzählt habe, man hätte mich wegen meines kaputten Rückens von der Plantage gejagt? Nun ja, ohne Arbeit hatte ich weder etwas zu essen noch einen Platz zum Schlafen. Also habe ich einfach da geschlafen, wo ich ein trockenes Plätzchen fand. Den Sommer über war es ziemlich gut. Ich konnte schlafen, wo ich wollte, ohne Angst haben zu müssen, im Schlaf zu erfrieren. Wie dem auch sei … Ich will dich jetzt nicht mit meiner Lebensgeschichte langweilen … Irgendwann bin ich hier gelandet und habe in diesen Wäldern geschlafen. Eines Morgens wachte ich auf und fand mitten auf der Straße ein Reh, das an Altersschwäche gestorben war. Fliegen und andere Viecher waren bereits darüber hergefallen, und hungrig, wie ich war, dachte ich, es wäre doch eine Schande, es einfach so verkommen zu lassen. Also hab ich das Reh gehäutet und das gute Fleisch herausgeschnitten, das noch übrig war, und dann habe ich es gebraten und gegessen. War gar nicht mal so schlecht. Ein bisschen zäh vielleicht, aber immerhin Fleisch. Und das Beste war, es war absolut kostenlos. Das brachte mich ins Grübeln. Es war Frühsommer, ich hatte also noch drei oder vier Monate mit gutem Wetter vor mir, deshalb dachte ich, wieso bleibe ich nicht eine Weile hier? Ich war von Wäldern umgeben, von jeder Menge Tieren und konnte mich ziemlich gut ernähren, ohne auch nur einen müden Cent zu bezahlen. Und das hab ich dann auch gemacht. Ich hatte ein ganz gutes Leben – bis ich angefangen habe, über die Tiere nachzudenken, die ich aß.«
Während er George zuhörte, nahm Jim den Geruch der toten Tiere kaum wahr, ebenso wenig wie die Tatsache, dass er direkt am Straßenrand stand und von jedermann gesehen werden konnte, der vorbeikam – also auch von den Jägern. Er war von der tiefen Südstaatenstimme des alten Mannes und der Aussicht, Darlene befreien zu können, zu sehr gefangen.
»Meine Eltern haben mir beigebracht, dass jedes Lebewesen eine Seele hat«, fuhr George fort. »Und dass man sie respektieren und um ihr Einverständnis und ihre Vergebung bitten muss, bevor man eines von Gottes Geschöpfen tötet und sein Fleisch verspeist. Meine Eltern stammten aus Haiti und haben Voodoo praktiziert, wenn auch nur im Geheimen. Nach außen hin lebten sie als Christen, aber ihr Herz und ihren Geist hatten sie dem Voodoo-Glauben verschrieben.«
»Dann ist das Ganze ein Voodoo-Fluch?«
»Nun … in gewisser Weise, ja. Voodoo hat nicht nur mit Zombies, Voodoo-Puppen und Zaubersprüchen zu tun. Die existieren zwar auch, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad, aber sie werden meist nur von schwarzen Priestern eingesetzt, nicht von den guten wie meinen Eltern. Es ist eine Religion wie jede andere auch, nur, dass wir daran glauben, dass es möglich ist, auch physisch in die Geisterwelt einzudringen.«
George lächelte. »Tut mir leid, ich will dich hier nicht mit der Geschichte des Voodoos langweilen. Du willst sicher, dass ich endlich zu den Blechdosen komme. Nun, als man mich von der Plantage geworfen hat – meine Eltern waren da schon seit vielen Jahren tot – und ich durch die Lande gezogen bin, habe ich meine Religion irgendwie vergessen. Sie hat mich zwar nie ganz verlassen, aber sie erschien mir irgendwie sinnlos, solange ich Tag für Tag ohne Zuhause war und nach Nahrung suchte. Als ich hier ankam und begann, die toten Tiere zu essen, die ich fand, hatte ich beinahe vergessen, was meine Eltern mir über die Vergebung und das Einverständnis erzählt hatten, die man sich von den Tieren holen muss, bevor man sie isst. Ich hatte auch alles über die Existenz der Seele vergessen … bis ich eines Morgens ein junges Reh fand, das noch am Leben war. Ich muss zwei Kojoten dabei gestört haben, die das arme Ding töten wollten, denn obwohl sein Hals völlig zerfetzt war, lebte es noch. Das wusste ich in dem Moment aber nicht. Wie es so dalag, blutüberströmt, dachte ich, es sei tot. Ich bin also zu dem Reh gegangen, habe mein Messer herausgeholt und wollte gerade anfangen, es zu häuten, als es seine Augen öffnete und mich ansah. Ich hab einen Satz gemacht, so
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