Die Bestien - Thriller (German Edition)
erschrocken war ich, und völlig überrascht, dass es noch lebte. Bei dem Gedanken, dass ich beinahe eines von Gottes Geschöpfen bei lebendigem Leib gehäutet hätte, wurde mir ganz übel. Das Reh sah mich mit seinen kleinen schwarzen Augen an, und ich wusste, dass es wollte, dass ich sein Leben beendete und es von seinen Schmerzen erlöste. Es war so gut wie tot, also nahm ich mein Messer, sprach ein Gebet für seine Seele, erinnerte mich an das, was man mich gelehrt hatte und bat es um Vergebung dafür, dass ich tötete, und um die Erlaubnis, sein Fleisch essen zu dürfen.
Während ich mit blutigem Messer dastand und auf das Tier hinuntersah, dachte ich über seine Seele nach. Einer der Priester, die auf der Plantage gelebt hatte, als ich noch jung gewesen war, hatte mir beigebracht wie man Seelen einfängt. Was ich damals nicht wusste, war, dass dieser Priester in Haiti ein Bokor gewesen war. Das sind Priester, die auch mit schwarzer Magie arbeiten. Dieser Mann war immer sehr freundlich zu mir gewesen, und als er herausfand, dass meine Eltern ebenfalls Priester waren, fing er an, mir gewisse Dinge zu zeigen, besondere Kräfte, die ich damals einfach großartig fand. Als meine Eltern von unserer Freundschaft erfuhren, verboten sie mir, je wieder mit ihm zu sprechen. Doch er hatte mich bereits viele Dinge gelehrt, etwa, wie man Seelen einfängt. Er sagte mir, die Seele eines Lebewesens sei etwas sehr Mächtiges und könne einem Menschen, wenn er sie einsperrte, unglaubliche Kräfte verleihen. Wenn man die Seele also richtig einfängt, kann man die Kräfte des jeweiligen Tieres beherrschen. Wenn man sich, beispielsweise, die Seele eines Löwen zu eigen macht, wird man dadurch viel stärker. Selbstverständlich kann man diese Seelenfängerei auch für böse Zwecke einsetzen, wie manch schwarzer Priester es tut. Sie missbrauchen dieses Wissen, um Zombies zu erschaffen. In den falschen Händen kann eine Seele zu etwas sehr Gefährlichem werden. Nicht, dass dieser Bokor mir diese Dinge erklärt hätte – es waren meine Eltern, die mich vor diesen Gefahren gewarnt haben. Ich verfügte also über dieses Wissen und dachte nur daran, wie viel stärker und klüger ich sein könnte, wenn ich mir die Energie all dieser Tiere zu eigen machen würde. Ich war dumm, verzweifelt und habe nicht darüber nachgedacht, dass auch diese Tiere ihre Freiheit verdienen, wenn sie diese Welt verlassen. Alles, was mich interessierte, war, dass es meinem Rücken wieder besser ging. Ich wollte zu einem starken, intelligenten Menschen werden, um so vielleicht wieder eine gute Arbeit zu finden und ein anständiges Leben führen zu können.«
George hielt einen Moment inne.
Jim spürte die Schuldgefühle des alten Mannes und hatte Mitleid mit ihm. Er konnte sehen, dass George nie gewollt hatte, dass all diese Dinge passierten. Jim wusste nur zu gut, wie es war, einen Fehler zu begehen, den man ewig bereute.
»Und genau das«, fuhr George mit einem tiefen Seufzen fort, »tat ich dann auch. Ich fing sie in leere Dosen ein. So begann ich allmählich, mir eine Seelen-Sammlung anzulegen. Siehst du, um das Wesen einer Kreatur einzufangen, musst du sehr flink sein. Die Lebenskraft entweicht schon bald nach dem Tod, deshalb muss man nicht nur wissen, wie man sie einfangen kann, man muss auch verflixt schnell sein. Es gelang mir, die unterschiedlichsten Seelen einzufangen: Rehe, Füchse, Kojoten, Rotluchse – sogar Eulen. Und weißt du, was? Ich habe mich tatsächlich besser gefühlt. Diese Dosen bei mir zu haben, hat meinen Rücken geheilt – zum ersten Mal seit Jahren konnte ich wieder aufrecht stehen. Ich fühlte mich gesund und zufrieden. Ich gab mir selbst das Versprechen, mir wieder eine Arbeit zu suchen. Gerade, als mein Leben allmählich wieder freundlicher aussah, ging alles den Bach runter. Und das Schlimmste war, dass alles ganz allein meine Schuld war. Inzwischen weiß ich, dass ich dafür bestraft werden musste, dass ich all diese Seelen gefangen habe. Damals war mir jedoch nicht bewusst, was da eigentlich mit mir passierte.
Eines Nachmittags, als ich gerade faul am Straßenrand in der Sonne lag, meine Seelen-Sammlung befand sich direkt neben mir und machte mich stark, kam ein Mann des Weges. Er war gut gekleidet und sehr gepflegt und trug einen hübschen schwarzen Gitarrenkoffer bei sich. Er lächelte mich an und interessierte sich sofort für die Dosen, die ich so voller Stolz ausstellte. Er wollte wissen, was sich darin befand. Ich
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